Brief aus dem Kairoer Gefängnis

"Statt die Mörder des Bloggers Khaled Said festzunehmen, hat das Militär mich verhaftet, kurz vor der Geburt meines Sohnes. Gut nur, dass die Proteste weitergehen", schreibt Alaa Abdel Fattah, einer der bekanntesten Blogger und Aktivisten der Revolution in Ägypten.

Von Alaa Abdel Fattah

Seit mehr als zwei Wochen sitzt Alaa Abdel Fattah, der zu einer Symbolfigur der Jugendprotestbewegung in Ägypten geworden ist, im Gefängnis. Der prominente Blogger weigert sich vor den Militärrichter zu treten, weil er dagegen protestieren will, dass unter der neuen Regierung in Ägypten zunehmend Zivilisten von Militärgerichten verurteilt werden.

"In den letzten drei Jahren verbrachte ich die Tage des Opferfestes weit weg von meiner Familie, weil ich im Ausland gelebt habe. Der erste Tag des Festes verlief dort wie jeder andere Tag auch: Wir gingen morgens zur Arbeit und kamen erst spät wieder heim. Hätte es nicht den Anruf von der Familie gegeben, die uns ein gesegnetes Fest wünschte, hätten wir gar nicht mitbekommen, dass es ein Festtag war.

Dieses Jahr sollte für mich eine besondere Bedeutung haben. Denn es wäre das erste Mal gewesen – seit unserer Rückkehr –, dass wir das Fest mit unserer Familie verbringen. Doch das Militär dachte, dass wir kein Recht haben zu feiern. Ich habe das Fest daher in einer Zelle erlebt. Meine Familie hat den ganzen Tag in einer unendlich langen Schlange verbracht, damit am Ende einige von ihnen, mich für ein paar Minuten besuchen konnten – unter der Beobachtung einer riesigen Gruppe von Polizisten.

Kampagne zur Freilassung Abdel Fattahs und Manals aus dem Jahr 2006; Foto: DW
Alaa Abdel Fattah schreibt mit seiner Frau Manal zusammen einen Blog, der mehrfach mit internationalen Preisen ausgezeichnet wurde. Abdel Fattah hat bereits 2006 im Gefängnis gesessen und war dann einige Jahre in Südafrika. Zur Revolution im Januar kehrten er und seine Frau nach Ägypten zurück.

​​Wegen des Gespräches mit meiner Mutter, die sich aufgrund meiner Haft im Hungerstreik befindet, und wegen der Gefühle der Verzweiflung, weil ich mit meiner Frau Manal keine Briefe austauschen kann, ist der Festtag unfestlich vorüber gegangen.

Da die Angestellten und Soldaten im Gefängnis das Opferfest feiern müssen, läuft die Arbeit dort mit halber Besatzung. Das heißt: vier Tage lang geschlossene Zellen. Keine Besuche, keine Pausen, keine Zeitschriften, nicht mal das mitgebrachte Essen der Besucher kommt rein … 'Wie bitte?! Wollen Sie etwa, dass Kriminelle auch feiern?'

Wenn nicht Eure Tweets gewesen wären, die in Form von Telegrammen bei mir angekommen sind, hätte ich gar nicht mitbekommen, dass es ein Fest in der Außenwelt gab. Ich bedanke mich bei jedem, der sich die Mühe gemacht hat, mir etwas zu schicken, und ich bedanke mich bei dem Menschen, der auf diese Idee kam.

Nun ist das Fest vorbei. Bald ist mein Geburtstag. Seit vier Jahren habe ich meinen Geburtstag nicht mit meiner Familie feiern können. Und dieses Mal ist es ein ganz besonderer Geburtstag, mein dreißigster. Es ist die Bestätigung, dass ich ein für alle Mal in die Welt der Erwachsenen eintreten werde. Nur wenige Tage vor der Geburt meines ersten Kindes hatte ich vor, meinen Geburtstag am 18. November mit meinen Kameraden der Revolution auf dem Tahrir-Platz zu feiern und später mit meiner Familie.

Es ist aber ein Freitag – ein Feiertag –, also keine Besuche, und die Zellentür wird geschlossen bleiben. Ihr sollt für mich auf dem Platz feiern.

Proteste von Anhängern Abdel Fattahs vor dem Gefängnis in Kairo; Foto:
Proteste gegen Militärgerichtsverfahren und die Inhaftierung Abdel Fattahs: Seine Anhänger vermuten, dass Abdel Fattah verhaftet wurde, um die Aktivisten des Aufstands gegen Mubarak in Misskredit zu bringen. Inzwischen hat auch der UN-Menschenrechtsrat Abdel Fattahs Freilassung gefordert.

​​Die einzigen erfreulichen Momente für mich sind die, wenn ich von eurer Solidarität höre. Sei es durch Demonstrationen vor dem Gefängnis (die habe ich leider nicht mitbekommen, weil meine Zelle auf der anderen Seite ist, aber ich habe davon von Mithäftlingen gehört) oder die Demonstrationen gegen Militärprozesse, die überall von Luxor bis Alexandria stattfinden. Oder die Proteste in Oakland und San Francisco, dessen Demonstranten eine besondere Stellung in meinem Herz einnehmen, weil ich dort einen kurzen Halt gemacht und an ihrem Sitzstreik und ihren Treffen teilgenommen hatte.

Nun ist das Opferfest vorbei und bald auch mein Geburtstag. Ich bin daran gewöhnt, beide Tage weit weg von meiner Familie zu verbringen. Doch die Geburt meines ersten Sohns Khaled – wie kann ich die verpassen? Wie soll ich es aushalten, dass ich zu diesem Zeitpunkt nicht bei meiner Frau Manal sein kann? Wie soll ich es aushalten, einfach nur auf Nachrichten von ihr zu warten, ob es ihr gut geht oder nicht? Wie soll ich es aushalten, das Gesicht meines Sohns nicht zu sehen und das Gesicht seiner Mutter, wenn sie ihn erblickt? Wie kann ich meinem Sohn ins Auge schauen, wenn ich entlassen worden bin – obwohl ich ihm versprochen habe, dass er als freier Mensch geboren wird? Wir haben ihn Khaled genannt, weil wir es Khaled Said schulden. Doch anstatt den Mörder Saids ins Gefängnis zu stecken, sitze ich nun hinter Schloss und Riegel."

© Frankfurter Rundschau/ Alaa Abdel Fattah 2011

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de