Im Nahen Osten haben sich 2020 die Machtverhältnisse verschoben

In Nahost haben sich 2020 manche Allianzen neu gemischt. Alte Konflikte sind geblieben oder haben sich verschärft. Die weltweite Coronavirus-Pandemie kam als negativer Faktor hinzu. Die Aussichten für 2021: durchwachsen!



Jerusalem. Es gibt sie, gute Nachrichten aus Nahost 2020. Der israelische Run auf Dubai etwa. 15.000 Israelis werden im Dezember in der Wüstenstadt am Golf erwartet. Die Vereinigten Arabischen Emirate sind nicht nur eines von drei verbliebenen Ländern, die Israel als grüne Covid-19-Zone betrachtet: Mit den sogenannten Abraham-Abkommen haben sich beide Länder soweit angenähert, dass die ehemals verbotene Erde auf einmal auch touristisch grüner Bereich ist.



Die Beziehungen mancher Nachbarn in Nahost haben sich zuletzt erheblich verbessert – zum politischen und wirtschaftlichen Vorteil der Beteiligten. Neben der historischen Annäherung Israels und der Emirate normalisierte auch Bahrain seine Beziehungen zu Israel. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu soll Gerüchten zufolge zudem zu einem Blitzbesuch beim saudischen Kronprinzen Muhammad Bin Salman in Neom gewesen sein – auch wenn Saudi-Arabien die Reise dementiert und Israel zu den Berichten schweigt.



Strategisch jedenfalls dürfte Riad der plötzliche, von der Trump-Administration geförderte Ruck in der Region zupasskommen. Denn er stärkt sunnitische Interessen gegen den sogenannten schiitischen Halbmond und zunehmende iranische Kontrolle in den drei Krisengebieten Syrien, Jemen und Irak sowie im durch Wirtschafts- und Regierungskrise arg labilen Libanon. Die Ermordung des iranischen Atomphysikers Mohsen Fachrisadeh am 27. November, für die Iran Israel verantwortlich machte, darf in diesem Licht gelesen werden.



Den Preis zahlen unter anderem die Palästinenser, deren Hoffnungen auf Selbstbestimmung und einen eigenen Staat schwinden – eine Sicht, die Israel zurückweist: "Wir glauben, dass es auf dem Weg Israels von der Annektierung zur Normalisierung ein Fenster gibt, diesen Konflikt zu lösen", sagte Israels Außenminister Gabi Aschkenasi zuletzt in einem Aufruf an Ramallah, die Friedensverhandlungen ohne Vorbedingungen wieder aufzunehmen.



Dabei hat sich die Ausgangslage im israelisch-palästinensischen Konflikt 2020 ebenso wenig verbessert wie die Lage im syrischen Bürgerkrieg. Die dramatische Krise, die den Libanon wirtschaftlich, politisch und sozial lähmt, wurde durch die Ereignisse vom 4. August noch deutlich verschärft: Die Explosion von rund 2.750 Tonnen Ammoniumnitrat in einer Lagerhalle im Hafen von Beirut forderte mehr als 200 Menschenleben, weite Teile der Innenstadt wurden verwüstet.



Das Virus namens Covid-19, das im Frühjahr die Region erfasste, tat sein Übriges. Organisationen wie die UN-Flüchtlingshilfswerke UNHCR und UNRWA sowie kirchliche Helfer wie Malteser International warnten schnell vor den potenziellen Folgen. Wer vor Corona sein Leben nur unter erschwerten Bedingungen meisterte, werde durch die Pandemie am schlimmsten getroffen. In Nahost sind dies neben den Menschen im dichtbevölkerten Gaza-Streifen vor allem die Flüchtlinge der diversen Konflikte. Hygienemaßnahmen scheitern an fehlender Infrastruktur, Abstandsregeln an Überfüllung. Wer sich als Tagelöhner über Wasser hält, kann bei Lockdown und Einkommensausfall mit steigenden Lebensmittelpreisen nicht mehr mithalten. Mehr Armut und Hunger sind die Folge.



Auch religiös dominierte 2020 das Coronavirus das Leben. Israel und die palästinensischen Gebiete ließen im März nicht lange auf massive Einschränkungen des gottesdienstlichen und Gemeindelebens warten. Auch Ägypten und Jordanien griffen zu scharfen Schutzmaßnahmen, die Christen wie Muslime bis ins religiöse Leben hinein hart trafen. Gotteshäuser blieben teils über Monate ganz geschlossen. Die Wiedereröffnung erfolgte in kleinen Schritten, immer wieder musste wegen steigender Fallzahlen zurückgerudert werden. Von einem Normalzustand in den religiösen Gemeinschaften ist die Region weit entfernt.



Gleichzeitig bewiesen die krisenerprobten Kirchen und Gemeinden im Nahen Osten in der Krise eine ihrer Stärken – Solidarität. Ob in Aleppo, Beirut, Jerusalem oder Bethlehem: Bestehende pastorale und soziale Strukturen und Netzwerke wurden aktiviert, um in schwierigsten Zeiten den Schwächsten zu helfen.



Die Aussichten für 2021 seien "angesichts der komplexen regionalen und globalen Situation" und " widersprüchlicher politischer und wirtschaftlicher Interessen und der Ambitionen einiger ausländischer Länder" dennoch ungewiss, sagte der Regionalminister der Franziskaner für die Region Sankt Paul (Jordanien, Libanon, Syrien), Firas Lutfi, der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Die Region brenne weiter, vom Irak über Syrien, den Libanon und andere Länder, so der syrische Franziskanerpater. Eine ernsthafte Entscheidung zur Beendigung der Krisen auf globaler Ebene sei nicht zu erwarten, dennoch müsse man den Menschen versichern, "dass die Zukunft besser ist". (KNA)