Hunderte Zivilisten fliehen vor syrisch-russischer Offensive aus Idlib

Angesichts der drohenden Offensive auf die letzte syrische Rebellenbastion Idlib haben hunderte Zivilisten die Flucht ergriffen. 180 Familien flohen vor dem Beschuss der Regierungstruppen aus ihren Dörfern im Südosten Idlibs in Richtung Norden, wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Donnerstag erklärte. Ein Gipfel des Iran, der Türkei und Russlands in Teheran am Freitag dürfte über das Ausmaß der Offensive entscheiden.

Schon seit Tagen gibt es sporadisch Angriffe der syrischen Artillerie und der russischen Luftwaffe auf Gebiete am Rande von Idlib. Auch am Donnerstagmorgen beschossen die Regierungstruppen Dörfer in der Region, wobei ein Zivilist laut der Beobachtungsstelle getötet wurde. Etwa tausend Zivilisten flohen demnach in der Nacht zu Donnerstag in Richtung der türkisch kontrollierten Region Afrin und angrenzende Gebiete der Provinz Aleppo. Die Beobachtungsstelle mit Sitz in London bezieht ihre Informationen aus einem Netz von Informanten vor Ort; ihre Angaben können von unabhängiger Seite kaum überprüft werden.

Am Freitag empfängt der iranische Präsident Hassan Rohani seinen russischen Kollegen Wladimir Putin und den türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan in Teheran zu Beratungen über Idlib. Die Türkei will eine Offensive verhindern, da sonst eine neue Flüchtlingswelle aus Idlib droht, wo nach UN-Angaben etwa 2,9 Millionen Menschen leben, darunter 1,4 Millionen Vertriebene aus anderen Landesteilen.

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu kritisierte, dass es bereits vor dem Gipfel in Teheran Angriffe der russischen Luftwaffe gegeben habe. "Wir haben Russland klar gesagt, dass diese Angriffe falsch waren", sagte er. "Die Lösung ist nicht, ganz Idlib ohne Unterschied zu bombardieren oder anzugreifen." Stattdessen sollten sie zusammen gegen die radikalen Gruppen in Idlib vorgehen, forderte der türkische Minister.

Russland betonte, es werde weiter "Terroristen" in Idlib und anderen Teilen Syriens töten, bis der Frieden wiederhergestellt sei. "Wir haben getötet, wir töten und wir werden auch weiter Terroristen töten, seien sie in Aleppo, Idlib oder einem anderen Teil Syriens. Frieden muss nach Syrien zurückkehren", sagte die russische Außenamtssprecherin Maria Sacharowa. "Dies ist eine Frage unserer Sicherheit."

Der Syrienexperte Galip Dalay von Alsharq Forum sieht kaum Chancen, dass die Türkei eine Offensive noch aufhalten könne, da sie im Gegenzug wenig anzubieten habe. "Ich sehe wenig Boden für eine Einigung", sagte Dalay. Die syrische Regierung und der Iran hätten kein Interesse, die Offensive aufzuschieben. Bestenfalls könne Ankara von Russland erreichen, den Angriff zu verzögern oder sein Ausmaß zu begrenzen.

Im Fall einer Großoffensive auf die von Dschihadisten und vorwiegend islamistischen Rebellen kontrollierten Provinz befürchtet die UNO bis zu 800.000 Flüchtlinge. In diesem Fall könnte die Türkei gezwungen sein, ihre Grenze zu öffnen. Cavusoglu warnte am Mittwoch bei einem Besuch seines deutschen Kollegen Heiko Maas in Ankara, "auch andere europäische Länder könnten das Ziel dieser Zuwanderung sein".

Maas versicherte, Deutschland sei bereit, sollte es in Idlib "Kämpfe auf breiter Front" geben, sein humanitäres Engagement noch einmal zu verstärken. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte, eine humanitäre Katastrophe müsse unbedingt vermieden werden. "Es muss jetzt versucht werden, dass man die radikalen Kräfte natürlich bekämpft, aber die Zivilbevölkerung schützt. Das wird eine sehr große, wichtige Aufgabe sein", sagte Merkel.

Save the Children warnte, eine Offensive hätte "verheerende Folgen" für die Kinder in der Region. "In sieben Jahren des Krieges haben diese Kinder Dinge gesehen und erlebt, die kein Kind erleben sollte", sagte die Leiterin der Hilfsorganisation, Helle Thorning-Schmidt, und rief die Konfliktparteien auf, "von der Klippe zurückzutreten". (AFP)