Hass gegen TV-Star Sylvana Simons: Rassismus in den Niederlanden

Eine schwarze Niederländerin wechselt vom TV in die Politik. Ihr Lohn: Ein Shit-Storm. Der blanke Rassismus schockt die Niederländer. Wo ist die Toleranz geblieben? Von Annette Birschel

Vom TV-Star zum Volksfeind Nummer eins - Der Fall der Niederländerin Sylvana Simons war tief und schnell. Die ehemalige Moderatorin populärer Shows will im nächsten Frühjahr für die neue Partei «Denk» von zwei türkisch-stämmigen Abgeordneten ins nationale Parlament einziehen. Die Reaktion auf die Kandidatur war heftig. Ein wahrer Shit-Storm traf die 45-Jährige. Warum? Sie ist schwarz.

Simons, die als Zweijährige mit ihren Eltern aus der früheren Kolonie Surinam in die Niederlande gekommen war, ist eine starke Frau mit ebenso starken Ansichten zu Diskriminierung in den Niederlanden. Sie warf Niederländern «strukturellen Rassismus» vor. Aber sie machte etwa auch höchst umstrittene Aussagen zum Völkermord an den Armeniern. Der Genozid sei «nicht bewiesen», sagte sie etwa.

In all den Reaktionen, die darauf folgten, ging es aber nicht um ihre Ansichten, sondern ihre Hautfarbe. Ein weißer Niederländer kann so etwas sagen, aber offenbar nicht eine Schwarze.    

«Heulneger» und «Affe» wurde sie beschimpft. «Geh zurück in dein eigenes Land». Auf Facebook wurde die Seite «Abschied» von Sylvana eingerichtet, um ihren Rausschmiss aus dem Land groß zu feiern. Zehntausende klickten: «Gefällt mir». Inzwischen wurde die Seite gesperrt.

«Es ist widerlich und asoziales Verhalten», verurteilte Premier Mark Rutte die Attacken. Hass, Häme und Hohn waren so massiv, dass inzwischen auch die Staatsanwaltschaft ermittelt. Für Sylvana Simons selbst war es nicht neu. Sie kennt solche Attacken. Doch dieser Shitstorm war auch ihr zuviel. Sie erstattete am Dienstag Strafanzeige. «Dieses Klima der Intoleranz muss bekämpft werden», sagte sie.

Seit der Rechtspopulist Pim Fortuyn 2002 ermordet worden war, ist das öffentliche Klima vergiftet. Vor allem im Internet gingen alle Schleusen auf, und die gröbsten Beleidigungen und Hass-Attacken gegen Migranten, Schwarze und Muslime gehören zur Tagesordnung. Und nicht nur im Internet.

Der Rechtspopulist Geert Wilders lotet seit über zehn Jahren die Grenzen des Erlaubten aus. Mit Tiraden gegen den Islam und Muslime setzt er den Ton. Der Rechtsaußen mit der platinblonden Haartolle macht sich stark gegen den «Moloch Brüssel», die «Islamisierung» und die «Überfremdung» und ist daher für viele ein Held. 

Längst verstecken sich die Autoren der hasserfüllten Kommentare nicht mehr hinter anonymen Internet-Identitäten. So wie Donny Bonsink (23), der die Facebook-Aktion gegen die schwarze Politikerin startete. Manche Kommentare gingen zu weit, räumte er jetzt ein. «Aber gerade jetzt ist es wichtig, eine Faust zu machen, für die Zukunft der Niederlande.»

Doch es ist nicht nur ein rechter Pöbel, der auf dem Internet sein Unwesen treibt. Das erfuhr der prominente Rapper Typhoon jetzt am eigenen Leibe. Er wurde in der Hansestadt Zwolle mit seinem Auto von der Polizei gestoppt. «Sein junges Alter und ein nagelneues Auto» waren die Gründe, räumte ein Polizeisprecher ein. «Aber auch seine Hautfarbe spielte eine Rolle.» Der schwarze Musiker ist 31 Jahre alt und trat erst vor vier Wochen vor dem Königspaar auf - und einem Millionenpublikum live im Fernsehen.

«Rassismus sitzt tief und das schon lange», kommentierte die Amsterdamer Tageszeitung Het Parool. Schwarze Niederländer und Zuwanderer spüren das täglich: Von abfälligen Blicken in der Metro bis zur vergeblichen Jobsuche. Auch ein Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen stellte 2015 Rassismus in den Niederlanden fest.   

Der Fall Simons beschämt nun viele Niederländer. Doch die meisten wollen nach Umfragen nichts vom Rassismusvorwurf wissen: Schließlich ist die holländische Toleranz fast schon sprichwörtlich bekannt.  Seit Jahrhunderten ist das Land ein Zufluchtsort für Andersdenkende und -gläubige. Menschen aus über 180 Kulturen leben friedlich zusammen. Als erstes Land der Welt gestattete es die Homo-Ehe, erlaubte weiche Drogen und die aktive Sterbehilfe.

Die Niederlande waren lange ein Vorbildland für Andere, der Trendsetter. Rassismus? Das gab es in Südafrika oder den USA – doch nicht bei uns, ist noch immer die Überzeugung der meisten weißen Niederländer. «Wir haben es immer geleugnet mit dem Hinweis auf unsere Toleranz», sagt die Professorin für Sozialgeschichte an der Universität Leiden, Marlou Schrover. «Aber so tolerant sind wir nicht.» (dpa)