Zur heiligen Quelle des Islam

In den letzten 18 Monaten hat das British Museum drei Ausstellungen zum Thema Glauben organisiert. Die letzte dieser Ausstellungen widmet sich den persönlichen wie praktischen Aspekten der muslimischen Pilgerfahrt, der Hadsch. Von Susannah Tarbush

Die Ausstellung mit dem Titel "Hadsch: Reise ins Herz des Islam", die noch bis zum 15. April im Londoner British Museum stattfindet, ist die erste große Schau weltweit, die sich auf die jährliche muslimische Pilgerreise konzentriert. Im legendären Round Reading Room des Museums präsentiert sie die außerordentlich große Zahl von 209 Ausstellungsstücken – aus dem Bestand des British Museum ebenso wie von 39 Institutionen aus der arabischen Welt, Europa, Mali, Malaysia, den USA und Australien.

Diese bahnbrechende Ausstellung wird begleitet von einem großartigen, 288 Seiten umfassenden Katalog, der von Venetia Porter und ihrer Kollegin Qaisra Khan herausgegebenen wurde. Porter ist Kuratorin des British Museum für Islamische und Moderne Kunst des Nahen Ostens und Mitkuratorin der Ausstellung.

​​"Unser wichtigstes Anliegen bei dieser Schau ist es, jedem die Möglichkeit zu geben – und das gilt für die Muslime ebenso wie für die Nicht-Muslime – nachzuvollziehen, worum es bei der Erfahrung der Hadsch geht und vor allem davon, was sie bedeutet", sagt der Direktor des Museums, Neil MacGregor.

Die Ausstellung zielt darauf ab, "einen Eindruck davon zu vermitteln, was diese höchste theologische, religiöse Erfahrung wirklich ist – und worin die weltweit wahrscheinlich größte logistische Herausforderung besteht, wenn nahezu drei Millionen Menschen am gleichen Ort zusammenkommen, um zur gleichen Zeit an den gleichen Ritualen teilzunehmen. Wir haben versucht, beide Elemente gleichwertig zu verdeutlichen: die intensive persönliche Erfahrung der Hadsch und die praktische Seite der Pilgerreise."

Religiöse und politische Empfindlichkeiten

Die Herausforderungen bei der Vorbereitungen dieser Ausstellungen waren gewaltig. MacGregor weist darauf hin, dass die Hadsch "zu den fünf Pfeilern des Islam gehört. Nicht-Muslime können nicht an ihr teilnehmen und sie erfahren". Religiöse und politische Empfindlichkeiten mussten also berücksichtigt werden, und die Kooperation mit den Behörden in Saudi-Arabien – Heimatland der heiligen Städte Mekka und Medina – war von großer Bedeutung. Partner des Museums bei der Durchführung der Ausstellung ist die in Riad beheimatete King Abdulaziz Public Library; gesponsort wird sie vom islamischen Zweig der Bank HSBC, HSBC Amanah.

Neil McGregor, Direktor des British Museum; Foto: British Museum
"Wir können unsere heutige Welt nicht begreifen, wenn wir nicht über das Verhältnis zwischen Glaube und Gesellschaft nachdenken", sagt Museumsdirektor Neil McGregor.

​​Die Ausstellung präsentiert Manuskripte, Gemälde, archäologische Fundstücke, Kacheln, Fotografien, Hadsch-Zertifikate, Pilgerführer, filmisches Archivmaterial und Objekte, die von Pilgern mitgebracht oder von ihnen als Souvernirs mit nach Hause genommen wurden. Zu den opulenten Textilien gehören Abdeckungen, Paneele und Vorhänge, die jährlich neu für die Kaaba in Mekka angefertigt werden.

Ein besonders aufsehenerregendes Exponat ist ein Mahmal aus dem 19. Jahrhundert – die zeremonielle, von einem Kamel getragene Sänfte, die das zentrale Objekt auf der Reise von Pilgern aus Kairo war. Die rote Seide des Mahmal, mit silbernen und goldenen Fäden durchwirkt, ist auf einen hölzernen Rahmen gespannt.

Zu den ältesten Ausstellungsstücken gehört ein seltenes Koranexemplar aus dem Arabien des 8. Jahrhunderts. Neben dem historischen Material war es Kuratorin Porter wichtig, auch moderne Kunst in die Ausstellung einzubeziehen, wie die beeindruckende Komposition "Magnetismus" des saudischen Künstlers Ahmed Mater aus dem Jahr 2011. Das Werk hat die Form eines schwarzen Kubus, der die Kaaba symbolisiert, umgeben von einer Menge herumschwirrender Eisenspäne, die für die um den Quader herumwandernden Pilger stehen.

Geschichten über die Hadsch

Als einmal entschieden worden war, welche Exponate in die Ausstellung mit aufgenommen werden sollten, "ging es darum, zu entscheiden, welche Geschichten wir mit ihnen erzählen wollen", sagt Porter. "Und tatsächlich waren es viele wundervolle Geschichten, die dabei ans Licht kamen. So war mir zum Beispiel nicht bewusst, dass zur Mitte des 19. Jahrhunderts die Schiffsreisen der Pilger noch von Thomas Cook organisiert wurden. Und von diesen Geschichten können wir in der Ausstellung viele andere erzählen."

Darunter sind Berichte von Pilgern, die zu verschiedenen Zeiten und aus verschiedenen Herkunfstländern stammend die Hadsch unternahmen. Dank einer Förderung durch den Arts and Humanities Research Council (AHRC) und in Zusammenarbeit mit der Universität von Leeds war es dem Museum möglich, viele mündliche Berichte britischer Muslime zu sammeln und sie den Ausstellungsbesuchern zu präsentieren.

Alle Wege führen nach Mekka

Porter ist verblüfft über die Gemeinsamkeiten, die zwischen den Erfahrungen früher Mekkareisender bestehen – wie etwa Ibn Battuta im 14. Jahrhundert und Ibn Jubayr im 15. Jahrhundert – und denen heutiger Pilger. "Immer treffen wir auf die gleiche Art von Überwältigung, wenn sie vor der Kaaba stehen. Die Verkehrsmittel mögen sich geändert haben, aber der Grund für die Reise und die Wirkung, die sie bei den Menschen hinterlässt, sind gleich geblieben."

Weltkarte, die Kaaba als Zentrum der Welt zeigt; Foto: Leiden Universität
Pilger erleben stets die gleiche Art von Überwältigung, wenn sie vor ihr stehen: Weltkarte, die die Kaaba als Zentrum der Welt zeigt.

​​Und natürlich lassen sich zwischen damals und heute viele Veränderungen in der Art und Weise, wie gereist wird, feststellen. Gleiches gilt für die Reiserouten. Die Ausstellung konzentriert sich auf fünf Reiserouten: Die erste davon ist arabische Route von Kufa nach Mekka, genannt Darb Zubayda nach der berühmten, im Jahr 831 gestorbenen Königin Zubayda, Gemahlin des großen Kalifen Harun ar-Rashid. Zubayda liebte die Pilgerreise so sehr, dass sie dafür sorgte, dass Brunnen ausgehoben und Raststationen gebaut wurden, um die Pilger auf ihrer mühevollen Reise zu versorgen.

Die afrikanische Route führte von Timbuktu in Mali über das libysche Ghadames und Kairo. 1324 begab sich der malische Kaiser Mansa Musa mit einem Gefolge von 8000 Menschen, davon 500 Sklaven, auf die Pilgerfahrt und gab in Ägypten so viel Gold aus, dass der Preis des Goldes auf Jahre hinaus fiel.

Die osmanische Route begann in Istanbul und passierte Damaskus. Die alten Seerouten über den Indischen Ozean verloren mit dem Aufkommen des Luftverkehrs an Bedeutung. Eine heute viel genutzte Strecke, die auch von der Schau beleuchtet wird, ist die britische, die die Pilger mit dem Flugzeug von London nach Dschidda bringt.

Die präsentierten Exponate belegen MacGregors Meinung, dass "es für uns alle in den letzten Jahren sehr deutlich geworden ist, dass wir unsere heutige Welt nicht begreifen können, wenn wir nicht über das Verhältnis zwischen Glaube und Gesellschaft nachdenken."

MacGregor hat deshalb in den letzten anderthalb Jahren eine Reihe von nun drei Ausstellungen initiiert, die versuchten, diese Glaubensdimension auszuleuchten. Die erste war "Reise durch das Nachleben: das alte ägyptische Totenbuch", gefolgt von "Schätze des Himmels: Heilige, Reliquien und Devotion im mittelalterlichen Europa".

Positive, wenn auch kritische Reaktionen

"Hadsch: Reise ins Herz des Islam" heißt nun der dritte und letzte Teil dieser Ausstellungstrilogie. In einem Interview mit der BBC lobte Mehdi Hasan, leitender politischer Redakteur bei der Zeitschrift New Statesman, die Ausstellung als "Brückenbau in einer Zeit massiver Desinformation, Missverständnisse und verdrehter Darstellungen von Muslimen im Westen." Und er fügte hinzu: "Wenn es also gelingt zu zeigen, dass es sich hier um eine einzigartige spirituelle, geografische, theologische und historische Erfahrung handelt – und diese nichts mit Terrorismus, Bomben, Politik oder dem Krieg im Nahen Osten zu tun hat – dann ist dies eine gute Sache."

Gleichzeitig aber teilt Hasan die Sorge einiger anderer Kommentatoren, die, trotz generell guter guter Noten für die Ausstellung, der Ansicht sind, dass die enge Zusammenarbeit mit Saudi-Arabien dazu geführt hat, dass einige Aspekte der Hadsch und der heiligen Stätten beschönigt wurden.

Für Hasan besteht deshalb auch die klaffende Lücke in der Ausstellung darin, dass sowohl die Politik Saudi-Arabiens als auch der Einfluss der rigiden wahabitischen Islamschule komplett außen vor gelassen wurden. "Ich selbst nahm an der Hadsch teil und konnte mit eigenen Augen einiges vom kulturellen Vandalismus sehen, unter dem Mekka und Medina zu leiden haben", sagte Hasan.

Susannah Tarbush

© Qantara.de 2012

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de