Grauen hinter Gittern - Massenhinrichtungen in Assads Gefängnissen

Das Militärgefängnis Saidnaja nördlich von Damaskus ist in Syrien seit langem berüchtigt. In einer neuen Amnesty-Untersuchung berichten Augenzeugen von unfassbaren Gräueltaten. Von Jan Kuhlmann

Die Henker kommen in der Nacht, wenn die Stille im syrischen Saidnaja-Gefängnis besonders erdrückend ist. Die Gefangenen stehen aufgereiht auf einer Plattform, die Augen verbunden, die Hände gefesselt. Die Henker legen die Schlinge erst dann um den Hals der Opfer, wenn alle zehn Galgen im Hinrichtungsraum besetzt sind. Dann stoßen sie einen Gefangenen nach dem anderen in den Tod.

Bis zu 15 Minuten hingen die Gefangenen am Galgen, berichtete ein Augenzeuge, ein Ex-Militärrichter, der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. «Einige waren dann noch nicht tot, weil sie zu leicht waren.» Zwei Männer hätten in diesen Fällen so lange an den Körpern gezogen, bis das Genick gebrochen sei.

Es sind Beschreibungen von unfassbaren Gräueltaten, die Amnesty für einen Bericht über systematische Massenhinrichtungen in dem syrischen Militärgefängnis Saidnaja nördlich der Hauptstadt Damaskus gesammelt hat. Im Land ist es schon seit langem ein offenes Geheimnis, dass nur wenige Inhaftierte die berühmt-berüchtigte Haftanstalt wieder lebend verlassen. Amnesty belegt jetzt mit Aussagen von früheren Wächtern, Richtern, Anwälten und Insassen, was lange vermutet worden war.

Bis zu 13.000 Menschen ließ Syriens Regierung dem Amnesty-Bericht zufolge von 2011 bis 2015 dort hängen. Manchmal bis zu 50 Menschen auf einmal in nur einer Nacht, immer unter strengster Geheimhaltung. Ein Militärgericht hatte die Opfer zuvor zum Tode verurteilt, in Verfahren, die nur ein bis zwei Minuten gedauert hätten. Der Richter frage jeden Gefangenen, ob er schuldig sei, erzählte ein Augenzeuge: «Er (der Gefangene) wurde verurteilt, egal, ob er ja oder nein antwortete. Dieses Gericht hat nichts mit einem Rechtsstaat zu tun.»

Geständnisse, so der Bericht, seien ausnahmslos unter Folter erzwungen worden. Die Leichen würden schließlich in Massengräbern auf dem Gelände des Militärs verscharrt, schreibt Amnesty. Die Familien der Opfer erhielten keine Nachricht über den Tod ihrer Angehörigen.

Amnesty untermauert mit der Untersuchung zudem, was entlassene Gefangene in der Vergangenheit immer wieder ausgesagt haben: dass die Haftbedingungen unmenschlich sind. Die Häftlinge vegetieren in völlig überfüllten Zellen vor sich hin, immer im Dunkeln gehalten. Kranke sterben, ohne dass sie Hilfe bekommen. Willkürliche Folter ist genauso an der Tagesordnung wie der Entzug von Nahrung, Wasser und medizinischer Versorgung. Die Gefangenen hätten aus Verzweiflung das Kondenswasser von den Wänden geleckt und ihren Urin getrunken, berichtete ein früherer Häftling: «Kannst du dir vorstellen, wie durstig und gebrochen ein Mensch sein muss, um das zu tun?»

Wann immer darauf angesprochen, weist Machthaber Baschar al-Assad Foltervorwürfe zurück. Es sei keine «realistische Geschichte», dass der Präsident sein eigenes Volk töte, sagte er im vergangenen Herbst Journalisten aus dem Westen. Amnesty dagegen ist überzeugt, dass höchste Stellen des syrischen Regimes die Hinrichtungen in Saidnaja abgesegnet haben - und diese bis heute weitergehen.

Die Organisation spricht von einer systematischen «Vernichtungspolitik», um sämtliche Gegner Assads zum Schweigen zu bringen. Vor dem Beginn des Aufstandes 2011 habe das Regime in Damaskus gefoltert, um an Informationen zu kommen, sagt der syrische Menschenrechtler Masen Darwisch, der selbst mehrfach in Haft saß. «Seit 2011 gibt es Folter der Folter wegen, um Menschen zu zerstören und ihre Seelen und Körper zu töten.»

Amnestys Erkenntnissen decken sich mit anderen Berichten über Gräueltaten der Regierung. Ein Bericht des UN-Menschenrechtsrat prangerte vor einem Jahr an, Häftlinge in Regierungsgefängnissen würden totgeschlagen oder stürben an den Folgen der Folter. Wie Amnesty sprach das Gremium von Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Schon vor drei Jahren waren rund 50.000 Bilder bekannt geworden, die ein ehemaliger Gefängnisfotograf mit dem Decknamen «Caesar» 2013 aus dem Land geschmuggelt hatte. Sie zeigen Tausende Leichen von Gefangenen, viele mit Spuren schwerster Misshandlungen. Über jeden Toten führte das Regime akribisch Buch. Die Bilder belegten die staatliche syrische «Todesmaschinerie», schreibt die Autorin Garance Le Caisne in ihrem preisgekrönten Buch «Codename Caesar».

Der Amnesty-Bericht dürfte nicht ohne Folgen für die neuen Syrien-Gespräche bleiben, die noch im Februar in Genf beginnen sollen. Das Schicksal Zehntausender Syrer, die in Gefängnissen der Regierung verschwunden sind, stand für die Opposition schon bei den gescheiterten Verhandlungen im vergangenen Jahr weit oben auf der Liste.

Menschenrechtler fordern, Assad und andere Verantwortliche müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Für den Menschenrechtler Darwisch steht fest: «Ohne Gerechtigkeit wird jede politische Lösung wie eine Zeitbombe sein, die jederzeit hochgehen kann.» (dpa)