Geisterstadt Palmyra - Mühsamer Wiederaufbau nach Vertreibung des IS

Die syrische Armee hat die Dschihadisten aus Palmyra vertrieben. Damaskus will die antike Stätte nun rasch wieder aufbauen. Nach Meinung von Experten dürfte das aber viele Jahre dauern. Von Mey Dudin

Die berühmte Oasenstadt Syriens ist noch immer militärisches Sperrgebiet. Von den einst 50.000 Einwohnern lebt kaum noch einer in Palmyra. «Es ist eine Geisterstadt», sagt Nada al-Hassan. Die Unesco-Expertin für die arabischen Kulturstätten hatte zuletzt Ende April die Gegend besucht.

Die antike Welterbestätte von Palmyra wurde von den Dschihadisten der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zehn Monate lang als Kulisse für Grausamkeiten missbraucht: Tempel wurden medienwirksam gesprengt, der Chefarchäologe enthauptet, sein Leichnam in den Ruinen aufgehängt. Im März dieses Jahres vertrieb die syrische Armee die Extremisten aus der Oase.

Mit dem Konzert eines russischen Orchesters wurde der Sieg gefeiert. Der Festakt im Amphitheater, wo die Dschihadisten zuvor ihre Geiseln exekutiert hatten, sollte vermitteln, dass aus Palmyra bald wieder das wird, was es einmal war: der Touristenmagnet Syriens. In nur fünf Jahren soll die Stätte wieder aufgebaut werden, kündigte die syrische Regierung bereits an. Erste Maßnahmen laufen schon: Die historische Anlage wurde zu großen Teilen von Landminen befreit. Sämtliche Artefakte, die bewegt werden konnten, sind an einen sicheren Ort gebracht worden. Syrische Experten haben mit der Inventur begonnen.

Der für archäologische Stätten zuständige Direktor der Antiquitäten- und Museumsverwaltung, Nasir Awad, sagte nach ersten Auswertungen, dass mehr als 80 Prozent der Artefakte noch in gutem Zustand seien. Die wichtigsten Bauten aber sind völlig zerstört. Internationale Experten zweifeln daran, dass ein Wiederaufbau in einem Land, das im Krieg versinkt, überhaupt funktionieren kann.

Der deutsche Archäologe Andreas Schmidt-Colinet hat viele Jahre in Palmyra gearbeitet. Er geht davon aus, dass der Wiederaufbau zeit- und kostenintensiv wird. «Jeder Stein, der umgefallen ist, muss registriert und das Ganze zunächst als Puzzle auf dem Papier wieder zusammengesetzt werden. Allein das dauert Jahre.» Der Wissenschaftler ist sich sicher: «Das ist mindestens ein Projekt wie der Marshallplan.»

Palmyra war im ersten und zweiten Jahrhundert ein wichtiges Zentrum auf der Handelsroute zwischen dem Römischen Reich und Persien. Die arabische Königin Zenobia herrschte einst dort. Im Mai 2015 eroberten Kämpfer des IS - damals war die Miliz noch auf dem Vormarsch - die Oase. Die Extremisten sprengten den Baal-Tempel, den Baal-Shamin-Tempel und den Triumphbogen. Das Nationalmuseum verwüsteten sie und meißelten die Gesichter der Statuen, die nicht rechtzeitig gerettet werden konnten, weg.

Unesco-Mitarbeiterin al-Hassan beschreibt ihren Eindruck vom heutigen Zustand der Anlage so: «Es war schockierend zu sehen, dass Juwelen der Stätte pulverisiert worden sind. Aber die Pracht von Palmyra sowie deren Präsenz in der Landschaft sind nach wie vor da.» Die Unesco empfiehlt, den Wiederaufbau nun sorgfältig zu planen. «Es gibt keine Dringlichkeit, jetzt zu handeln», sagt al-Hassan. Wichtiger sei es, die richtigen wissenschaftlichen Maßnahmen und Herangehensweisen zu erörtern. Lediglich akut bedrohte Teile, wie das Museumsgebäude, müssten gesichert werden.

Archäologe Schmidt-Colinet hält im Umgang mit den Zerstörungen auch Alternativen zum Wiederaufbau der gesprengten Tempel für denkbar. «Man könnte überlegen, ob es nicht sinnvoller wäre, einen Besucherraum einzurichten, in dem man sich die Tempel in 3-D-Animationen vergegenwärtigen kann, anstatt sie wieder aufzubauen.» Für solche Animationen kann man Fotos und Videos verwenden, die Archäologen und auch Besucher in der Anlage gemacht haben. «Bei bestimmtem Sonnenlicht und wenn und es gerade geregnet hatte, sah man an einer Tempelwand farbige byzantinische Malereien», so Schmidt-Colinet. Auch davon gebe es gute Fotos.

Der Archäologe betont zugleich, andere könnten zwar Vorschläge machen, Konzepte und Ideen entwickeln und Geld zur Verfügung stellen, aber entscheiden müssten darüber letztlich die Syrer. «Primär für sie ist das ein Identifikationsfaktor.» Und bevor der erste Kran in der archäologischen Stätte vorfahre, stünde der Aufbau der modernen Stadt Palmyra an, der Häuser, der Schulen, der Krankenhäuser und der Moscheen. (epd)

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