Gegen Belästigung: Frauen aus Jordanien kickboxen für ihre Rechte

Frauen in Jordanien kämpfen gegen Benachteiligung und sexuelle Gewalt: Im Parlament und im Kampfsport-Studio. Sie haben viel erreicht, aber der Weg ist noch weit. Von Nehal El-Sherif

Für Batul Mohanad waren es immer die schlimmsten Minuten des Tages: Was tun, wenn man auf dem Weg zur Arbeit ständig belästigt wird? Männer in der jordanischen Hauptstadt Amman machten sie an, wollten sie überreden, in ihr Auto einzusteigen, oder kamen einfach viel zu nahe.

Die Rezeptionsdame eines Kampfsport-Studios beschloss daher, selbst ein paar Kniffe zu erlernen, um ihren persönlichen Freiraum zurückzuerobern. «Ich habe begonnen zu trainieren und mich in das Kickboxen verliebt», sagt die 22-Jährige. Sie habe die anderen Mädchen im Club beobachtet, erzählt sie. «Ich konnte sehen, wie sie sich verändert haben. Sie sahen stärker und glücklicher aus, und ich wollte wie sie sein.»

Im muslimischen Jordanien ist sexuelle Gewalt gegen Frauen vielerorts ein Tabuthema. «Es gibt keine Frau in Jordanien, die nicht belästigt wird», sagt Mohanad. Obwohl sich viele Frauen darüber beklagen, gibt es kaum offizielle Statistiken. Erst Anfang August hob das jordanische Unterhaus ein Gesetz auf, das Vergewaltigern eine Strafe ersparte, wenn sie ihr Opfer heirateten. In dieser Strafgesetzreform wird «sexuelle Belästigung» weder erwähnt noch definiert.

«Unanständige» Gesten oder Worte werden mit mindestens sechs Monaten Haft bestraft. Früher waren sechs Monate die Höchststrafe. Das neue Gesetz, das noch von König Abdullah II. unterschrieben werden muss, erhöht auch die Mindeststrafe für Sittlichkeitsvergehen von zwei Monaten auf ein Jahr. Die jordanische Frauen-Union, eine Menschenrechtsgruppe, begrüßte die Änderungen, vor allem die Abschaffung von Artikel 308: Aktivistin Hala Ahed sagte, der Artikel habe keinen positiven gesellschaftlichen Einfluss gehabt, sondern sei nur ein einfacher Ausweg für Vergewaltiger gewesen.

«Wir sind nicht 100-prozentig zufrieden, aber es ist besser als früher», sagt sie, auch wenn die mangelnde Definition von sexueller Belästigung die Durchsetzung und auch die statistische Erfassung solcher Taten schwieriger macht. «Vielleicht ist das auch Absicht, denn ohne Zahlen kann man dieses Phänomen schlecht mit anderen Ländern vergleichen», meint Ahed.

Laut offiziellen Zahlen aus dem Jahr 2012 war ein Drittel der Frauen in Jordanien über 15 schon mindestens einmal ein Opfer körperlicher Gewalt. Eine von zehn erlebte sexuelle Gewalt, doch nur zwei Prozent gingen zur Polizei.

In Deutschland sind die Zahlen teilweise ähnlich. In einer vom Bundesministerium für Familie 2004 herausgegebenen Studie gaben 37 Prozent der befragten Frauen in Deutschland an, seit ihrem 16. Lebensjahr schon körperliche Gewalt erlebt zu haben. 13 Prozent wurden Opfer sexueller Gewalt. 8 Prozent schalteten der Studie zufolge die Polizei ein.

Laut polizeilicher Kriminalstatistik wurden in Deutschland im vorigen Jahr 7.919 Fälle von Vergewaltigung und sexueller Nötigung angezeigt. 2004 waren es 8831 gewesen. 

Nach drei Jahren Training im «SheFighter»-Studio ist aus der schüchternen Rezeptionistin Mohanad eine Kickbox-Trainerin geworden. Dort werden neben Kampfsport auch Workshops angeboten, wo Frauen und Kinder lernen können, richtig auf Belästigungen zu reagieren.

Mohanad erinnert sich noch an das erste Mal, als jemand sie belästigte: «Ich war 15, und ein Mann hat begonnen über meinen Körper zu sprechen. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich bin nach Hause und habe geweint.» Sie werde nun weniger belästigt, sagt sie. «Weil ich keine Angst mehr habe. Ich weiß, wie ich reagieren soll. Und ich kann ihnen wehtun, wenn es sein muss.»

Für Trainerin Enas Chalifeh ist wichtig, dass Frauen selbstbewusst und stark werden. «Ich kann andere lehren, körperlich und geistig stärker zu werden», sagt sie. Die Trainerinnen von SheFighter bieten auch immer wieder Kurse für syrische Flüchtlinge an. «Sie haben ein paar Kniffe gelernt, von denen ich glaube, dass sie ihr Leben verändern können», sagt Mohanad über einen Flüchtlings-Kurs. «Warum auch nicht? Sie haben mein Leben verändert.» (dpa)

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