Gauland, «Nachbar» Boateng und die AfD-Masche

Fremdenfeindliche Sprüche aus der AfD sind nichts Neues. Jetzt verunglimpft AfD-Vize Gauland den schwarzen Nationalspieler Boateng, den niemand als Nachbarn haben wolle. Im Netz löst das eine Welle der Solidarität aus - kurz vor der EM in Frankreich könnte die Schmähung des DFB-Stars für die Rechtspopulisten zum Bumerang werden. Von Tim Braune

Es sind nur ein paar Stunden, bis die AfD-Führung auf ihre altbewährte Masche zurückgreift. Als im Netz unter dem Schlagwort «Nachbar» die Empörung über AfD-Vize Alexander Gauland zum Shitstorm anschwillt, meldet sich Frauke Petry zum ersten Mal an diesem Sonntag zu Wort.

Um 10.04 Uhr twittert die AfD-Chefin: «Jerome Boateng ist ein Klasse-Fußballer und zu Recht Teil der deutschen Nationalmannschaft. Ich freue mich auf die EM.» Zuvor hatte die «Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung» (FAS) Gauland mit folgendem Satz zitiert: «Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen Boateng nicht als Nachbarn haben.»

So läuft das bei den Rechtspopulisten seit Ausbruch der Flüchtlingskrise oft. Einer von ihnen provoziert mit schrägen oder fremdenfeindlichen Ansichten, schon meldet sich die Parteispitze vermeintlich beschwichtigend zu Wort. «Typisches Muster AfD: beleidigen, provozieren - später dann relativieren», meint CDU-Vize Julia Klöckner dazu. Auch der SPD-Politiker Ralf Stegner erkennt dahinter eine Strategie: «Goldene Rechtspopulistenregel: Provokation, Debatte, Rückzug, 'War nicht so gemeint'.»

Gauland (75), Jurist, Publizist, jahrzehntelang in der CDU, scheint ein gutes Beispiel dafür abzugeben. «Ich habe nie (...) Herrn Boateng beleidigt. Ich kenne ihn nicht und käme daher auch nicht auf die Idee, ihn als Persönlichkeit abzuwerten», teilt er in einer Erklärung mit. Er habe in einem vertraulichen Hintergrundgespräch mit Redakteuren der FAS die Einstellung «mancher Menschen» beschrieben, «aber mich an keiner Stelle über Herrn Boateng geäußert, dessen gelungene Integration und christliches Glaubensbekenntnis mir aus Berichten über ihn bekannt sind».

Gauland nur ein Chronist von Alltagsrassismus, wo doch die AfD in der Flüchtlingskrise ständig mit dem Feuer spielt, um Unzufriedene anzulocken? Schuld soll nun wieder die «Lügen-, Pinnocchio- oder Systempresse» haben, wie Rechtspopulisten wahlweise die Medien attackieren? So lief es auch ab, als Petry in einem Interview einen Schusswaffengebrauch als letztes Mittel gegen Flüchtlinge bei unerlaubtem Grenzübertritt guthieß, dann aber dem «Mannheimer Morgen» eine verkürzte und «völlig sinnentstellte» Fassung des Interviews unterstellte.

Die FAS-Redakteure können nach eigenen Angaben Gaulands verräterische Sätze belegen. Sie haben mitgeschrieben. Spannend zu beobachten ist dann, wie AfD-Chefin Petry parallel eine andere Version erzählt und ihrem Vize in den Rücken fällt: «Herr Gauland kann sich nicht erinnern, ob er diese Äußerung getätigt hat. Ich entschuldige mich unabhängig davon bei Herrn Boateng für den Eindruck, der entstanden ist», sagt Petry der «Bild»-Zeitung.

Der in der AfD-Spitze umstrittenen Frontfrau dürfte es nicht ungelegen kommen, dass die graue Eminenz der Partei nun rechtsaußen im Abseits steht. Petry war zuletzt in der AfD für ihr Treffen mit dem Zentralrat der Muslime angegangen worden - an vorderster Front: Gauland.

Im Internet ist Gaulands Ausfall gegen den schwarzen Boateng Topthema. Tausende solidarisieren sich mit dem 27-jährigen Verteidiger von Bayern München, der ein waschechter Berliner Jung aus dem Wedding ist. Sein Vater ist aus Ghana, na und? Boatengs Schalker Nationalmannschaftskollege Benedikt Höwedes twittert: «Wenn du für Deutschland Titel gewinnen willst, brauchst du Nachbarn wie ihn.» Und der frühere Bundesliga-Profi Hans Sarpei, ebenfalls mit ghanaischen Wurzeln, meint: «Jerome Boateng hat bisher 57x für die Nationalmannschaft gespielt. Damit hat er 57x mehr für Deutschland getan als die AfD.» Bereits vor ein paar Tagen wurde im Netz Haltung gezeigt, als ein paar Pegida-Anhänger gegen eine EM-Sonderedition der Kinderschokolade mit Jugendfotos von Boateng, Gündogan & Co. moserten.

Andere Twitter-Nutzer forderten spontan DFB-Coach Jogi Löw auf, Boateng bei dem für Sonntagabend angesetzten EM-Testspiel gegen die Slowakei als Mannschaftskapitän auflaufen zu lassen. Beim DFB sind sie über Gauland und die AfD empört. Es sei geschmacklos, die Popularität Boatengs und der Nationalmannschaft «für politische Parolen zu missbrauchen», sagt DFB-Präsident Reinhard Grindel.

Für den Verband sind fremdenfeindliche Anwürfe gegen die Nationalelf kein Neuland. So verteilte die rechtsradikale NPD 2006 vor der deutschen Heim-WM einen Spielplan mit ausländerfeindlichen Sprüchen. Der DFB ließ den WM-Planer damals - auch im Namen des schwarzen Nationalspielers Patrick Owomoyela - per Gerichtsbeschluss verbieten.

In Frankreich hetzt die von der Le-Pen-Familie dominierte rechtsextreme Partei Front National regelmäßig gegen die «Equipe tricolore», weil viele französische Kicker einen Einwanderungshintergrund haben - so wie in Löws vorläufigem EM-Kader: Özil, Sané, Podolski, Bellarabi, Khedira, Rüdiger, Mustafi, Boateng, Gomez... (dpa)