Fünf Jahre nach der Flucht: Familie Ghazy fühlt sich in Berlin wohl

Im Jahr 2015 waren sie im Flüchtlingstreck, der über das Mittelmeer oder die Balkanroute nach Europa kam. Mit Hilfe einer Kirchengemeinde meistert die aus Syrien stammende Familie Ghazy heute ihren Alltag.



Irgendwann im Frühjahr 2015 fiel die Entscheidung, dass es so nicht mehr weitergehen konnte: Alle drei Söhne der Familie Ghazy waren in ihrer Heimat Syrien in lebensgefährliche Situationen geraten; es stand unmittelbar bevor, dass sie zum Militärdienst eingezogen werden. So wagte die Familie die Flucht nach Europa. Zunächst machten sich die beiden älteren Söhne, Ameer und Shabel - damals 23 und 20 Jahre alt - über die sogenannte Balkanroute auf den Weg, drei Monate später ihre Mutter Theres zusammen mit dem jüngsten Sohn Roper, damals 17, über das Mittelmeer. Als letzter folgte Vater Sami.



Nach Monaten in einer Flüchtlingsunterkunft kamen die beiden älteren Brüder im Spätsommer 2015 in Kontakt mit der katholischen Pfarrei Maria Gnaden im Berliner Norden. Die Gemeinde beschloss zu helfen: Weil die Pfarrerwohnung leer stand, konnten Ameer und Shabel dort einziehen. Als einige Monate später die Mutter mit ihrem jüngsten Sohn nachkam, renovierten Mitglieder in der Nachbargemeinde Christkönig in Berlin-Lübars eine kleine Souterrain-Wohnung auf dem dortigen Kirchengelände. Dort konnte schließlich auch Sami Ghazy wohnen.



Der Anfang war alles andere als leicht: eine fremde Sprache lernen, eine Ausbildung absolvieren, das Studium wiederaufnehmen, Arbeit finden. Dazu kam das quälende Warten auf den Asylbescheid. Am härtesten traf es Ameer. Erst im Frühjahr 2017 erhielt er einen befristeten Bescheid, den er - wie die anderen Familienmitglieder - regelmäßig verlängern muss. "Das war eine schwere Zeit", erinnert sich Ameer.



Wie seine beiden Brüder spricht er inzwischen sehr gut Deutsch. Der heute 28-Jährige absolviert ein duales Studium der Betriebswirtschaftslehre. Sein Bruder Shabel arbeitet als Möbelpacker und träumt von einem eigenen Tattoo-Studio, und Roper, der Jüngste, macht eine Ausbildung zum Mechatroniker bei einem großen deutschen Automobilkonzern, in seiner Freizeit engagiert er sich ehrenamtlich für Obdachlose. Die Chancen, dass er nach Abschluss seiner Ausbildung eine feste Stellung bekommt, sind gut - er ist einer der Jahrgangsbesten im Betrieb.



Auch die Eltern der Drei können sich inzwischen auf Deutsch unterhalten - und beide haben den Einstieg in die Arbeitswelt gefunden. Sami arbeitete in Syrien als Elektroingenieur und war unter anderem zuständig für die Straßenbeleuchtung. Hier jobbte er bei verschiedenen Unternehmen, arbeitete in der Küche eines Restaurants. Während sie in den ersten Jahren noch Sozialhilfe brauchte, kann die Familie ihren Lebensunterhalt inzwischen alleine bestreiten, wie Sami nicht ohne Stolz erzählt.



Die Familie ist dankbar für die Chance, in Deutschland ein Leben ohne Krieg, Leid und ständige Gefahr führen zu können. Bereits in ihrer Heimat haben sie sich ehrenamtlich engagiert - und tun das auch in Berlin wieder. So hat Ameer Treffen einer Pfadfindergruppe geleitet. In der Kirchengemeinde lernte er seine Freundin kennen. Roper kümmert sich in Berlin-Mitte um Obdachlose. Alle fünf haben inzwischen auch viele deutsche Freunde und Bekannte, die sie an warmen Sommertagen gerne einladen und arabisch bekochen.



Kontakt zu Familie und Freunden in ihrer alten Heimat halten sie vor allem über Soziale Medien. Dabei hören sie immer wieder von den Folgen des Kriegs: Sami trauert um fünf verstorbene Verwandte und Theres vor allem um ihren Bruder, der in einem Gefecht gefallen ist.



Eine Rückkehr ist für sie im Moment ausgeschlossen: "Der Krieg ist nicht vorbei", erklärt Roper. Derzeit würden die Lebensmittel in Syrien immer teurer. "Wir befürchten, dass Hungersnöte ausbrechen." Er und seine Brüder sehen ihre Zukunft in Deutschland - trotz sich häufender Anfeindungen, wie Roper bemerkt. Auch die Eltern fühlen sich wohl und wollen gerne in der Nähe ihrer Söhne bleiben. Alle Fünf hoffen auf ein dauerhaftes Bleiberecht.



An Syrien erinnern sie zwei kleine Olivenbäume, die sie am Rande des Gartens der Kirchengemeinde gepflanzt haben. "Zu Hause hatten wir auf unserem Grundstück sehr viele davon, sie waren riesengroß", erinnert sich Sami Ghazy wehmütig. (KNA)