Fünf Jahre nach den Anschlägen auf "Charlie Hebdo"

Im Januar 2015 waren alle Charlie - egal ob in Köln, Paris oder Rom. Am 7. Januar 2015 überfielen zwei islamistische Terroristen die Redaktion der französischen Satire-Zeitschrift "Charlie Hebdo" in Paris. Mit ihren Kalaschnikows töteten sie elf Menschen, während der Redaktionskonferenz. Als sie den Ort des Massakers verließen, riefen sie auf der Straße: "Allah ist groß. Wir haben Charlie Hebdo getötet. Wir haben den Propheten Mohammed gerächt."

Die Rache der Brüder Cherif und Said Kouachi, die bis dahin als Kleinkriminelle aus den Pariser Vorstädten in Erscheinung getreten waren, galt jener Zeitung, die es gewagt hatte, die zuerst in Dänemark veröffentlichten Mohammed-Karikaturen nachzudrucken. Am folgenden Wochenende demonstrierten in Frankreich vier Millionen Menschen mit dem Slogan "Ich bin Charlie" gegen diesen Anschlag auf die Freiheit der Presse und freie Meinungsäußerung, darunter 44 Staats- und Regierungschefs aus aller Welt. Die Solidaritätskundgebungen sollten tagelang weitergehen - auf allen Kontinenten, in zahllosen Städten.

Nun, kurz vor dem fünften Jahrestag, hat der Chefredakteur von "Charlie Hebdo", ein Buch mit dem Titel "Eine Minute 49 Sekunden" veröffentlicht. Exakt diese Zeitspanne dauerte die tödliche Attacke. Der Chefredakteur wird "Riss" genannt; mit bürgerlichem Namen heißt er Laurent Sourrisseau. Er ist seit 1992 bei der Zeitung. Es ist ein wütendes Buch, ein Pamphlet.

Selbst schwer verletzt bei dem Attentat, rechnet er mit allen und jedem ab. Mit sich selbst, der Redaktion, den französischen Medien, der politischen Klasse und all denen, die sich ducken. Und die ihn jetzt sagen lassen: "Wenn wir heute erneut die Karikaturen drucken würden, wären wir wieder alleine. Das Attentat hat die Menschen nicht mutiger gemacht, im Gegenteil."

Das Jahr 2015 hat die französische Gesellschaft verändert. Gewiss, die Bistro-Terrassen sind selbst im Winter gut besetzt. Die Lebensart, das "Savoir vivre", wird ebenso aufrecht erhalten wie der Sommerurlaub, am liebsten am Strand. Doch vor den Sehenswürdigkeiten wie dem Eiffelturm, dem Versailler Schloss oder dem Invalidendom patrouillieren Fallschirmjäger mit Maschinenpistolen.

Mehr als 10.000 sind es im ganzen Land, weil Polizei und Gendarmerie mit dem Schutz gefährdeter Personen ausgelastet sind. Denn nach dem Januar 2015 folgte der August mit einem Messerangriff im Thalys-Schnellzug zwischen Brüssel und Paris. Am 13. November kulminierte der Terror mit zeitgleichen Angriffen auf die Konzerthalle Bataclan im Zentrum der Hauptstadt, auf das Nationalstadion während eines Länderspiels gegen Deutschland und auf mehrere Caféhaus-Terrassen. Die Bilanz: 130 Tote und mehr als 400 Verletzte.

Riss sieht einen entscheidenden Unterschied zwischen den Taten. Die Morde im November galten Unschuldigen, zufälligen Opfern, "wie am 11. September 2001 in New York", sagt er. Anders die Attacke auf "Charlie Hebdo": "Sie galt uns, namentlich bekannten Zeichnern und Journalisten: Wir sollten mundtot gemacht werden." Die Zeitung aber lebt. Von der ersten Nummer nach dem Anschlag wurden sechs Millionen Exemplare verkauft. Der Geldregen, der auf die Überlebenden niederprasselte, weckte viele Neider. Aber Riss hielt ihn eisern zusammen, um "Charlie Hebdo" zu retten.

Dass ausgerechnet in diesen Tagen eine Demo gegen Islamophobie in Paris internationales Aufsehen erregte, macht ihn erneut wütend. Denn dieser Begriff "wurde erfunden, um die auszugrenzen, die in der öffentlichen Debatte stören". Tatsächlich fanden sich unter den Organisatoren und Teilnehmern die extreme Rechte von Marine Le Pen neben der extremen Linken um den Senator Jean-Luc Melenchon, der davon spricht, dass Frankreichs Muslime "die Juden von heute" seien und dies mit einem gelben Judenstern am Mantel unterstreicht. "Der Faschismus von rechts und links tötet zunächst mit Worten", sagt Riss. Der Terror der Islamisten ist für ihn eine "totalitäre Ideologie", an die er sich - wie andere französische Intellektuelle" - nicht anpassen will. (KNA)