Friedensprozess in Libyen in Gefahr - Parlament setzt Regierungschef ab

* Dbeida will nicht zurücktreten  * Furcht vor Ausbruch neuer Kämpfe



Tripolis/Tobruk. In Libyen wächst die Furcht vor einem Wiederaufflammen des 2020 mit einem Waffenstillstand gestoppten Bürgerkriegs. Parlamentspräsident Aguila Saleh erklärte am Donnerstag den Ministerpräsidenten Abdul Hamid Dbeiba und damit die von ihm angeführte Regierung der Nationalen Einheit für abgesetzt. Neuer Ministerpräsident sei der ehemalige Innenminister Fathi Baschagha. Dbeiba selbst überlebte nach Regierungsangaben ein Attentat. Seit Wochen haben rivalisierende politische Gruppen Kämpfer und Ausrüstung in der Hauptstadt zusammengezogen. Die Angst wächst, dass die politische Krise neue Kämpfe auslösen könnte.



Dbeiba leitet seit März die von den Vereinten Nationen anerkannte Regierung der Nationalen Einheit. Ziel dieser Übergangs-Regierung ist die Vereinigung des in eine östliche und eine westliche Fraktion gespaltenen Landes und die Installierung eines demokratischen Systems. Teil des von den UN beaufsichtigten Friedensprozesses waren eigentlich für vergangenen Dezember vorgesehene Wahlen. Allerdings zerstritten sich die rivalisierenden Fraktionen über die Wahlregeln, bislang ist es zu keiner Abstimmung gekommen. Bei dem Streit ging es unter anderem darum, ob Präsidenten- und Parlamentswahl gleichzeitig stattfinden sollten. Zudem wird die Legitimität einer Kandidatur von Dbeiba angezweifelt, der ursprünglich erklärt hatte, sich nicht zur Wahl zu stellen.



NEUER REGIERUNGSCHEF OFFENBAR PER AKKLAMATION GEWÄHLT



Die Gegner von Dbeiba versuchten nun mit der Wahl des neuen Regierungschefs Tatsachen zu schaffen. Auf TV-Aufnahmen aus dem Parlament war zu sehen, wie Abgeordnete die Hand für die Wahl von Baschagha hoben. Allerdings war zunächst unklar, ob er durch eine formelle Wahl bestätigt werden muss. Im Parlament stellen Abgeordnete, die der östlichen Fraktion zugerechnet werden, die Mehrheit. Dbeiba hat allerdings bereits erklärt, seinen Platz nicht zu räumen. Dies könne nur nach einer Wahl geschehen und nicht nach einer Parlamentsabstimmung. Beobachter gehen davon aus, dass es nicht sofort zu Konfrontationen kommen wird, da Baschagha erst eine Regierung aufstellen muss, die vom Parlament gebilligt werden soll.



Nach den Angaben aus Regierungskreisen beschossen Unbekannte am Donnerstagmorgen den Wagen Dbeidas und flohen danach. Der Sender Al Dschasira zeigte Bilder des Autos mit Beschädigungen an Karosserie, Windschutzscheibe und Scheinwerfer, bei denen es sich um Einschüsse handeln könnte. Die Nachrichtenagentur Reuters konnte den Wagen nicht in Augenschein nehmen und auch nicht mit Augenzeugen sprechen.



Seit dem Sturz des langjährigen Machthabers Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 herrscht Chaos in dem ölreichen nordafrikanischen Land. 2014 spaltete es sich in eine östliche und eine westliche Kriegspartei. Der Kommandeur der östlichen Bürgerkriegspartei, Chalifa Haftar, ist für viele Bürger im Westen des Landes ein rotes Tuch, seit er 2019/20 versuchte, Tripolis zu erobern und dabei Teile der Hauptstadt in Schutt und Asche legte. Er begrüßte am Donnerstag die Wahl von Baschagha. (Reuters)