Friedenspotenzial der Religionen: Eine Lehrerfortbildung für Juden, Christen und Muslime

Religion und Gewalt - sind das Gegensätze oder Ergänzungen? Eine Fortbildung für jüdische, muslimische und christliche Pädagogen stellt die Frage, wie Schülern das Friedenspotenzial der Religionen vermittelt werden kann. Von Michael Jacquemain

Die Terrormiliz «Islamischer Staat» (IS), der Nahostkonflikt - religiös aufgeladene Auseinandersetzungen spielen in diesen Tagen überall eine wichtige Rolle. Und damit auch in den Schulen, die letztlich ein Abbild gesellschaftlicher Debatten sind.

So verwundert es nicht, dass ein Seminarraum an der Heidelberger Hochschule für Jüdische Studien (HfJS) fast aus den Nähten platzte, als es bei einer Lehrerfortbildung an diesem Montag und Dienstag um das Thema Friedensressourcen der Religionen ging. Knapp 50 jüdische, muslimische und christliche Pädagogen waren zu dem Trialog der Religionen gekommen.

Der Frankfurter Islamwissenschaftler Harry Harun Behr berichtete davon, dass muslimische Schüler wegen des IS und der Silvestervorfälle in Köln ihre Normalität verlören, es gebe ein «Rollback» bei der «gefühlten Integration». Zugleich bemerkten die Schüler Defizite bei der eigenen Diskursfähigkeit und erhofften sich vom Religionsunterricht, stark gemacht zu werden.

Für Behr ist entscheidend, dass im Religionsunterricht historische Zusammenhänge dargestellt würden, was heute oft zu kurz komme. Er plädierte für ein «integratives Geschichtsbewusstsein». Behr sieht die derzeitigen öffentlichen Diskussionen aber auch als Chance, für sich selbst und die Gesellschaft «Klarheit zu schaffen». Die Generation der heute in Deutschland aufwachsenden Muslime suche «nach einem belastbaren Befund über den Islam».

Katja Boehme, katholische Theologieprofessorin an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, stellt «Dignitatis humanae», der Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Religionsfreiheit, päpstliche Erklärungen aus dem 19. Jahrhunderts gegenüber. Erst seit 50 Jahren habe ihre Kirche zu vielen Fragen «eine andere Haltung». Die 2.000 Jahre seit Christi Geburt seien «weiß Gott keine Friedensgeschichte» gewesen. Allerdings habe die katholische Kirche «aus ihrer Geschichte gelernt» und sich auf «die eigentliche Sendung und Quellen zurückbesonnen».

Boehme plädiert für Modelle, bei denen ein Thema nach dem klassischen Muster im konfessionellen Religionsunterricht behandelt, später aber an Projekttagen interreligiös erörtert werden kann. Erst wer im eigenen Bekenntnis eine Problematik verstanden und einen Standpunkt entwickelt habe, sei zum interreligiösen Gespräch befähigt. Nach Boehmes Ansicht sollen an solchen Debatten auch die Schüler teilnehmen, die zu keinem Religionsunterricht, aber alternativ zum Ethikunterricht gehen.

Für den jüdischen Heidelberger Religionspädagogen Daniel Krochmalnik ist entscheidend, dass Schüler beim interreligiösen Gespräch auch die Friedensbereitschaft der anderen Religionen sehen und verstehen lernen. Ansonsten bestehe die Gefahr, nur die Splitter im Auge der anderen, nicht aber den Balken im eigenen Auge wahrzunehmen.

Als wesentlichen Unterschied zwischen den Religionen sieht Krochmalnik, dass die Quelle des Christentums pazifistisch, dessen Geschichte dagegen bellizistisch, also kriegstreiberisch, sei. Beim Judentum sei es durch den starken Einfluss der Rabbiner dagegen genau andersherum. Schon seit dem dritten Jahrhundert vor Christus sei das Judentum «eine Religion unter Fremdherrschaft».

Bei der Fortbildung unter dem aus einem Psalm des Alten Testaments entnommenen Leitwort «Suche den Frieden und jage ihm nach» ging es nicht darum, Gewalt als eine Facette der drei monotheistischen Religionen auszublenden - dies wäre nach Überzeugung der Wissenschaftler auch historisch unaufrichtig. Trotzdem sei Friede in den drei abrahamitischen Religionen ein sehr hoher Wert und spiele in den Theologien eine ganz zentrale Rolle - letztlich als unverhandelbare Norm. Könne dies vermittelt werden, fördere der Religionsunterricht auch die Friedenskompetenz der Schüler. (KNA)