Ein Schlitzohr auf Abwegen

Frankreichs Stürmer Hatem Ben Arfa, Sohn tunesischer Einwanderer, hat keine Bilderbuch-Karriere hingelegt: Der 25-Jährige ging bei Olympique Marseille in den Streik, war in mehrere Eskapaden verwickelt, wechselte zu Newcastle United und wurde brutal gefoult. Doch nun, so scheint es, ist er gereift. André Tucic berichtet.

Meist wuselt er auf dem linken Flügel oder hinter den Spitzen herum, schlägt Flanken und Finten oder zieht in den Strafraum ein und sucht den Torabschluss. Egal für welchen Verein und auf welcher Position er spielt: Hatem Ben Arfa sorgt für Schlagzeilen.

Schon mit 15 Jahren wurde er von der Jugendabteilung von Olympique Lyon verpflichtet. Drei Jahre später unterschrieb er dort seinen ersten Profivertrag. Es war eine überaus erfolgreiche Zeit für den Mann mit den tunesischen Wurzeln: Er wurde viermal in Folge französischer Meister mit Lyon, gewann einmal den Pokal und spielte oft in der Champions League.

Doch er wollte einen Tapetenwechsel und wurde 2008 für 15 Millionen Euro zu Olympique Marseille transferiert. Der Wechsel schien sich zu lohnen. Denn in der Saison 2009/10 wurde das Team Meister und Pokalsieger. Doch das Hatem Ben Arfa kein pflegeleichter Zeitgenosse ist, zeigte sich in seiner Zeit in Südfrankreich überdeutlich. Aus dem Sommerurlaub kam er mit vier Kilo Übergewicht zurück und büxte aus dem Trainingslager aus.

Hatem Ben Arfa im Sturm; Foto: dpa
Dribbling-Star und "Enfant Terrible": Der französische Fußball-Nationalspieler Hatem Ben Arfa war über seine Auswechslung bei der 0:2-EM-Niederlage der Equipe Tricolore gegen Schweden so enttäuscht gewesen, dass er Trainer Laurent Blanc eine Heimreise von der Endrunde angeboten hatte.

​​Er leistete sich darüber hinaus einige weitere Eskapaden: Es kam zu einer Schlägerei mit Teamkollege Djibril Cissè und er hatte Ärger mit Trainer Eric Gerets, weil er sich als Ersatzspieler weigerte, sich für einen Einsatz vorzubereiten. Auch mit dem nächsten Trainer, Didier Deschamps, gab es Streitereien im Training.

Hatem Ben Arfa wollte den Klub verlassen und sagte, dass er nie wieder für Marseille trainieren und spielen würde. Er wollte wechseln, doch der Klub verlangte aus seiner Sicht eine viel zu hohe Ablösesumme für ihn. "Es ist vorbei. Ich habe meinen Stolz und meine Würde. Ich bin kein Lückenfüller. Die Zeit wird zeigen, dass ich Recht habe. Nur weil wir Geld bekommen, heißt das nicht, dass wir Sklaven sind", sagte Ben Arfa einst.

Ein Foulspiel als größte Tragödie

Um dieses für beide Seiten unrühmliche Kapitel zu schließen, wurde er im August 2010 zu Newcastle United in die Premier League verliehen. Doch bereits in seinem vierten Ligaspiel, im Oktober 2010, kam es zur größten Tragödie in seiner bisherigen Laufbahn: Nach wenigen Minuten wurde er im Spiel gegen Manchester City vom niederländischen Nationalspieler Nigel de Jong brutal gefoult – so brutal, dass sein Schien- und Wadenbein brach. Er musste mit Sauerstoffmaske auf einer Trage liegend vom Platz gebracht werden. Eine lange Leidensperiode stand ihm bevor.

Zu dieser Zeit sollte Hatem Ben Arfa jedoch wieder für Negativ-Schlagzeilen sorgen: Gemeinsam mit den französischen Nationalspielern Frank Ribéry, Sidney Govou und Karim Benzema soll er Kontakte zu einer minderjährigen Prostituierten in einer Pariser Disko gehabt haben. Die Spieler wurden nicht weiter belangt, der fade Beigeschmack bleibt jedoch erhalten.

Während der glücklosen Europameisterschaft wurde Hatem Ben Arfa nach dem dritten Gruppenspiel, der 2:0 Niederlage gegen Schweden nach 56 Minuten ausgewechselt. Daraufhin beschwerte er sich in der Kabine und bot Trainer Laurent Blanc seine Heimreise an. Der versammelten französischen Presse sagte er, dass andere Mitspieler schlechter als er gewesen wären.

Samir Nasri (links) und Hatem Ben Arfa; Foto: Reuters
Enttäuschend auf ganzer Linie: Frankreichs sportliches Grand Malheur nach der EM folgte der fast schon obligatorische Eklat. Samir Nasri rastete aus und setzte mit üblen Beleidigungen den Schlusspunkt. Und auch Hatem Ben Arfa hatte mit seinen Tiraden nach dem letzten Gruppenspiel gegen Schweden in der Grande Nation erhebliche Unruhe ausgelöst.

​​Trotz all dem Hick-Hack um seine Person und der langwierigen Verletzung, glaubte sein Klub an ihn und verpflichtete den Langzeitverletzten im Januar 2011 für sechs Millionen Euro. Fast ein Jahr lang fehlte Hatem Ben Arfa seinem Verein aus Newcastle. Denn erst im September 2011 begann er mit dem Mannschaftstraining, im Oktober hat er wieder Ligaspiele absolviert.

Furioses Comeback

Doch das Vertrauen und die Wartezeit haben sich für seinen Arbeitgeber gelohnt. Denn fortan spielte er besser denn je. Er war wuselig und flink, agierte mannschaftsdienlich und war torgefährlich. Seine ansteigende Form krönte er im Januar 2012 im FA Cup gegen Blackburn Rovers.

Denn in diesem Spiel hat er ein Solo samt Tor hingelegt, das an Maradonas Slalomlauf gegen England bei der Weltmeisterschaft 1986 erinnerte: Hatem Ben Arfa erhielt den Ball kurz hinter der Mittellinie, umkurvte sechs Gegenspieler und drosch den Ball aus kurzer Distanz unter die Latte.

Da zeigte er also wieder jenes Talent, für das man ihm früher eine große Karriere prognostiziert hatte. Schon 2004 wurde er mit der U-17-Nationalmannschaft Europameister, unter anderem mit Samir Nasri und Karim Benzema. Im Oktober 2007 gab er sein Debüt in der A-Nationalmannschaft. Er wurde jedoch weder für die Europameisterschaft 2008, noch für die Weltmeisterschaft 2010 nominiert.

Der ehemalige Trainer Raymond Domenech zählte nicht auf seine Dienste. Anders sieht das der aktuelle Nationaltrainer Laurent Blanc: "Talent hat er zweifelsohne, das kann ihm keiner nehmen. Er hat sich weiterentwickelt und scheint nun reifer zu sein", sagte Laurent Blanc unlängst.

Pfiffe seiner Landsleute

Beim ersten Gruppenspiel dieser Europameisterschaft, dem 1:1 gegen England, wurde Hatem Ben Arfa in der 84. Minute eingewechselt. Beim zweiten Spiel, dem 2:0 gegen die Ukraine, kam er jedoch nicht zum Einsatz. Bislang hat er erst zwölfmal für Frankreich gespielt und dabei zwei Tore erzielt. Hätte er sich für die tunesische Nationalmannschaft, das Land seines Vaters, entschieden, wären es womöglich viel mehr internationale Auftritte gewesen.

Doch wie so viele seiner Kollegen wählte er das Land aus, bei dem er die größeren Turniere wie Welt- und Europameisterschaften spielen kann. Und das ist eben Frankreich. Das dies nicht jedem gefällt, hat er im Oktober 2008 deutlich zu spüren bekommen. Beim Freundschaftsspiel Frankreich gegen Tunesien in Paris wurde Hatem Ben Arfa bei jedem Ballkontakt ausgepfiffen.

André Tucic

© Qantara.de 2012

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de