Frankreich zensiert: Salafisten-Doku schockiert und spaltet

Massenhinrichtung, Folterung, Interviews mit Scharia-Islamisten: Ein Dokumentarfilm über Salafisten erhitzt in Frankreich die Gemüter. Gewaltverherrlichung, Propaganda oder schonungslose Information? Von Sabine Glaubitz

Der Verband um den verbliebenen Stumpf ist noch leicht blutig. Der Mann, dem wegen Diebstahls die Hand abgehackt wurde, liegt auf einem Bett. Er sei nun gereinigt, sagt einer der Männer. «Salafistes» heißt der Dokumentarfilm, der seit Tagen die Gemüter der Franzosen erhitzt. Gezeigt werden 70 Minuten lang Interviews mit salafistischen Milizen und Gelehrten. Dazwischen Szenen von Massenhinrichtungen und Auspeitschungen. Unkommentierte Videos der IS und malischer Islamistengruppen aus dem Internet.

Propaganda oder schonungslose Information, um den Dschihadimus zu verstehen? Der zwischen 2012 und 2015 in Mali, Mauretanien und Tunesien gedrehte Film spaltet Frankreich. «Ein Film, der durch zu viel Provokation mit der Propaganda flirtet», schreibt die konservative Zeitung «Le Figaro». «Wie kann man die dschihadistische Besatzung filmen?» fragt die linke Gazette «Libération», und «mondafrique.com» titelt: «Ein Film, um den Dschihadismus zu verstehen, ohne ihn zu entschuldigen.»

Auch Frankreichs Kulturministerin Fleur Pellerin hat sich ein Urteil gebildet - und den Film für unter 18-Jährige verboten. Eine Maßnahme, die bislang pornografische und extrem gewalttätige Filme betraf. Seit 2000 soll diese Zensur für nur elf Langfilme angewandt worden sein, wie die Wochenzeitung «Télérama» schrieb. Noch nie aber für einen Dokumentarfilm.

Das Amputieren von Diebeshänden sei eine göttliche Pflicht, der Terrorismus eine Erfindung ebenso wie der zivile und demokratische Islam und die Attentate auf die Satirezeitschrift «Charlie Hebdo» im Januar 2015 der Ausdruck von Meinungsfreiheit dreier Märtyrer:

Antworten auf Fragen des mauretanischen Journalisten Lemine Ould M. Salem, der zusammen mit dem Franzosen François Margolin die umstrittene Doku gedreht hat. Zu den befragten Miliz-Führern und Gelehrten gehörte auch Omar Ould Hamaha, einer der Anführer der Islamistengruppe Ansar Dine in Mali. Der als Rotbart bekannte Rebellenchef soll bei einer Befreiungsaktion 2014 durch französische Militärs getötet worden sein.

Man habe den Salafisten keine Tribüne für ihre Propaganda gegeben, sagt Lemine Ould M. Salem. Man müsse diese Menschen zeigen, wie sie sind. Deshalb zeige man auch die im Internet verbreiteten Videos von Hinrichtungen und Folterungen. «Man kann über den Islamischen Staat und diese Menschen nicht reden, ohne zu zeigen, was sie machen.» Das sei die beste Art und Weise zu verstehen, wie diese Menschen im Alltag den Islam lebten. Lemine Ould M. Salem hat als Journalist für «Libération» und den britischen Radio- und Fernsehsender BBC gearbeitet.

Lemine Ould M. Salem hat für den Film viel Zeit in Timbuktu und Gao verbracht. Als Muslim hatten die Dschihadisten ihm die Filmerlaubnis bewilligt. Gefilmt hat er Sittenpolizisten, die auf dem Markt kontrollieren, ob die Frauen verschleiert sind, und islamische Richter, die gnadenlos das Gesetz der Scharia anwenden. 

Nur vier Kinos in Frankreich zeigen die Doku - drei in Paris und eines in Grenoble. Vor allem die Vorführungen am Abend seien gut besucht, sagt einer der Mitarbeiter des Pariser «Les 3 Luxembourg».

Warum die Zuschauer kommen? «Ich finde es wichtig, sich eine eigene Meinung zu bilden. Zudem zeigt der Film nichts anderes als das, was die Medien indirekt vermitteln», erklärte Marc, einer der Besucher, nach der Vorführung im «Les 3 Luxembourg». Der 23-jährige Politologiestudent bedauert, dass die unter 18-Jährigen die Doku nicht sehen dürfen, denn sie seien eine Zielgruppe der Scharia-Islamisten. «Der Film verdeutlicht nicht nur deren Brutalität, sondern auch deren Ignoranz.» (dpa)