Fragen & Antworten: Was bedeutet die Rückkehr von IS-Anhängern nach Deutschland?

Die Bundesregierung versichert: durch die Abschiebung von IS-Anhängern aus der Türkei steigt die Terrorgefahr nicht. Wie viele deutsche IS-Kämpfer und Unterstützerinnen zurückkommen werden, ist noch offen. Viele sind noch in Syrien in Gewahrsam. Von Anne-Beatrice Clasmann

Die Zahl der als «Gefährder» eingestuften Islamisten ist in den vergangenen Monaten erstmals seit Jahren wieder zurückgegangen. Durch die Abschiebung deutscher IS-Anhänger könnte sie wieder leicht steigen. Das erhöht die Arbeitslast der Sicherheitsbehörden, die sich aktuell auch verstärkt um gewaltbereite Rechtsextremisten kümmern müssen. Die wichtigsten Fragen und Antworten: 

Wie viele IS-Rückkehrer kommen jetzt?

Das ist noch nicht klar. Die Türkei will in den kommenden Tagen mindestens elf Menschen nach Deutschland abschieben. Allerdings waren nicht alle von ihnen bei der Terrormiliz Islamischer Staat. Entsprechende Erkenntnisse gibt es bisher nur zu vier Frauen, von denen zwei bereits an diesem Freitag nach Deutschland abgeschoben werden sollen. Sie hatten die türkische Offensive in Nordsyrien genutzt, um aus dem bislang von Kurden bewachten Gefangenenlager Ain Issa zu fliehen. Die deutsch-irakische Familie aus Hildesheim, die im vergangenen Januar in die Türkei ausgereist war, wird zwar dem salafistischen Spektrum zugerechnet. Über einen möglichen Aufenthalt der Familie in dem damals militärisch schon fast besiegten Pseudo-Kalifat des IS ist jedoch nichts bekannt. In den vergangenen drei Jahren waren schon etliche IS-Anhänger auf eigene Faust nach Deutschland zurückgekehrt - vor allem Frauen mit Kindern. Einige stehen bereits vor Gericht.

Warum gibt es keine Abschiebungen aus Syrien oder dem Irak?

Die meisten deutschen IS-Anhänger, die sich im Irak aufgehalten haben, sind entweder getötet worden oder sie gingen später nach Syrien. Wer geblieben ist, wurde von den Irakern vor Gericht gestellt. Der Irak hat eine Zeit lang mit Deutschland und anderen europäischen Staaten über die Einrichtung eines Sondertribunals für ausländische Kämpfer auf irakischem Boden verhandelt. Daraus wurde aber bisher nichts, unter anderem weil die irakische Regierung viel Geld verlangt und bestimmte Zusicherungen - etwa keine Todesstrafe - nicht geben will. Die kurdischen Gruppen in Syrien haben Deutschland erfolglos aufgefordert, deutsche Staatsangehörige aus den von ihnen kontrollierten Haftanstalten zurückzunehmen. Abschieben kann aber nur ein Staat.

Wie gefährlich sind die Rückkehrer?

Das ist schwer zu sagen. Kampferprobte Männer stehen bislang nicht auf der Liste der Deutschen, die aus der Türkei zurückgeschickt werden sollen. Doch auch für die Frauen gilt nach Ansicht von Experten: Nicht jede wortreich formulierte Abkehr von der IS-Ideologie ist glaubwürdig.

Werden die Rückkehrer in Haft genommen?

Gegen 26 der 95 Deutschen, die aktuell in Syrien in Gefangenschaft sind, liegt nach dpa-Informationen hierzulande ein Haftbefehl vor. Für viele der IS-Frauen gilt das nicht. Das heißt aber nicht, dass sie keine Angst vor Strafverfolgung haben müssen, wie der Fall der Deutsch-Tunesierin Omaima A. zeigt. Die Witwe des IS-Terroristen Denis Cuspert wurde diesen September - drei Jahre nach ihrer Rückkehr nach Deutschland - inhaftiert.

Könnte Deutschland eine Aufnahme verweigern?

Nein, bei deutschen Staatsbürgern nicht.

Was ist mit Doppelstaatlern?

Der Bundestag hat zwar im Juni ein Gesetz verabschiedet, das bei Terrorkämpfern mit Doppelpass den Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit erlaubt. Allerdings gilt das Gesetz nicht rückwirkend.

Wie viele «Gefährder» hat die Polizei jetzt schon im Blick?

Im islamistischen Spektrum waren am 25. September bundesweit 688 Menschen als «Gefährder» eingestuft. Das ist weniger als im Juli 2018. Damals zählte die Polizei noch 774 islamistische «Gefährder». Grund für den Rückgang sind vereinzelt bekannt gewordene Todesfälle in Konfliktgebieten oder eine Distanzierung von Gruppen und Ideologie, die Gewalt gegen Andersgläubige propagieren. Bei 108 der aktuell als «Gefährder» eingestuften Islamisten liegen Erkenntnisse über eine Rückkehr aus dem syrisch-irakischen Konfliktgebiet vor. Die Sicherheitsbehörden gehen davon aus, dass von den 1050 Islamisten, die sie ab 2013 von Deutschland in dieses Gebiet aufgemacht hatten, inzwischen rund ein Drittel wieder in Deutschland ist. Zu mehr als 220 der Ausgereisten gibt es Hinweise, dass sie in Syrien oder im Irak getötet wurden. Als «Gefährder» bezeichnet man im Bereich der politisch motivierten Kriminalität Menschen, denen man schwere Gewalttaten bis hin zu Terroranschlägen zutraut.

Welche langfristigen Konsequenzen zieht die Regierung?

Die Ausreise in das IS-Gebiet war für in Deutschland lebende Sympathisanten der Terrormiliz anfangs nicht schwierig. Offiziell hat das zwar niemand so gesagt, aber zumindest bei einigen Oppositionspolitikern entstand zeitweise der Eindruck, die Sicherheitsbehörden seien froh über jeden gewaltbereiten Salafisten, der das Land verlässt. Das änderte sich später. Potenzielle Dschihadisten mussten ihre Reisedokumente abgeben. Vielleicht auch, weil die Sorge vor einer möglichen Rückkehr von kampferfahrenen IS-Anhängern wuchs.

Mehr kann man nicht tun?

Die Vorsitzende des Innenausschusses des Bundestages, Andrea Lindholz, plädiert angesichts des relativ hohen Anteils von Menschen mit Migrationshintergrund unter den deutschen IS-Anhängern dafür, «dass wir genau hinschauen müssen, wem wir Zugang zur deutschen Staatsangehörigkeit geben». Das würde allerdings nur in einigen Fällen greifen. Denn erstens sind unter den deutschen IS-Anhängern auch Konvertiten ohne Migrationshintergrund wie Jennifer W., die im Irak tatenlos zugesehen haben soll, wie ihr Ehemann ein Mädchen an einem Fenstergitter festband und verdursten ließ. Zweitens können sich auch Kinder muslimischer Einwanderer radikalisieren, deren eingebürgerte Eltern keine Islamisten sind. (dpa)