Folgenreiches «Schmähkritik»-Gedicht: Erdogan-Anwalt will gegen Böhmermann bis in letzte Instanz gehen

Der deutsche Anwalt des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan will mit seinem Mandanten bis in die letzte Instanz gegen das «Schmähkritik»-Gedicht des ZDF-Satirikers Jan Böhmermann vorgehen. «Wenn ich das Mandat annehme, ziehe ich das auch durch», sagte Hubertus von Sprenger am Dienstagabend im ZDF-«heute journal». «Der Präsident verspricht sich die Bestrafung des Betroffenen und verspricht sich auch, dass der in Zukunft das nicht wiederholt, was er gesagt hat, auf zivilrechtlicher Ebene.»

In seiner Fernsehshow «Neo Magazin Royale» vom 31. März hatte Böhmermann (35) in einem Gedicht über Erdogan bewusst beleidigende Formulierungen benutzt. Er kündigte das Gedicht in der Sendung als Beispiel für herabwürdigende Schmähkritik an, die nicht erlaubt sei.

Nach Anzeigen gegen Böhmermann und Verantwortliche des ZDF ermittelt die Mainzer Staatsanwaltschaft. Die Bundesregierung prüft außerdem einen förmlichen Wunsch der Türkei nach einer Strafverfolgung Böhmermanns wegen der Beleidigung eines Staatsoberhaupts.

Erdogan hat auch persönlich Anzeige gegen Böhmermann erstattet. Von Sprenger sagte zu dem zivilrechtlichen Schritt Erdogans, dass der Moderator eine Strafe bekommen solle, «die erforderlich ist, ihn auf den rechten Weg zurückzubringen, Satire zu machen und nicht mehr plumpe Beleidigungen».

Angesichts der Vorwürfe gegen Böhmermann betonte die Chefin der Länder-Rundfunkkommission, Malu Dreyer (SPD), die Bedeutung der Meinungsfreiheit. «Die Freiheit der Presse, der Meinung und der Kunst in unserem Land ist ein hohes Gut», teilte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin der Deutschen Presse-Agentur mit. «Es ist von unserem Grundgesetz geschützt und nicht verhandelbar.»

Der frühere Präsident des Verfassungsgerichtshofs Nordrhein-Westfalen, Michael Bertrams, warnte im «Kölner Stadt-Anzeiger» (Mittwoch) die Bundesregierung davor, die deutsche Justiz zu einer Strafverfolgung zu ermächtigen. «Sie würde damit nicht nur Jan Böhmermann, sondern gleichsam die Meinungs- und Kunstfreiheit an einen Autokraten und Despoten ausliefern, der bürgerliche Freiheiten im eigenen Land auf gröbste Weise missachtet.»

Bertrams sieht Böhmermanns Beitrag durch die vom Grundgesetz garantierte Meinungs- und Kunstfreiheit gedeckt. Er räumte aber ein, dass diese Position «auf der Kippe» stehe. Es werde «mit Sicherheit» Richter geben, die Böhmermanns Text als strafbar einstuften.

Der inzwischen für Böhmermann angeordnete Polizeischutz stößt beim Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, auf Verständnis: «Man muss leider davon ausgehen, dass es gerade in diesem Konflikt mit diesem unglaublichen Hype den ein oder anderen Eiferer gibt, von dem möglicherweise Gefahren ausgehen», sagte Wendt. Die Anordnung von Polizeischutz, der für Betroffene ein Einschnitt ins Privatleben sei, werde in einer Gefährdungsanalyse geprüft, erklärte Wendt.

Am Dienstag war auch bekanntgeworden, dass die Produktionsfirma btf GmbH und Jan Böhmermann in Abstimmung mit dem ZDF entschieden haben, die für Donnerstag geplante nächste Ausgabe des «Neo Magazin Royale» nicht zu produzieren. Grund sei die breite Berichterstattung und der damit verbundene Fokus auf die Sendung und den Moderator.

Der Medienrechtler Ralf Höcker hält es für wahrscheinlich, dass der Satiriker Jan Böhmermann weges des Erdogan-Gedichts vor Gericht verurteilt wird. Die Wahrscheinlichkeit dafür sei relativ hoch. «Böhmermann hat eine Beleidigungsorgie zelebriert», sagte er am Mittwoch im Deutschlandfunk.

Das Argument, Böhmermann habe die Beleidigungen in seiner Schmähkritik nicht ernst gemeint, lässt Höcker nicht gelten: «Das spielt überhaupt keine Rolle,» meint er. Wenn man beispielsweise jemanden mit dem Schimpfwort «Arschloch» betitele, meine man das ja auch nicht wörtlich.

Auch die Länge und Ausführlichkeit des Beitrags spricht laut Höckers Einschätzung dafür, dass die Satire nicht zulässig sei: Eine Beleidigung hätte ausgereicht, um zu zeigen, was Böhmermann beweisen wollte. Stattdessen habe er eine «Beleidigungsorgie zelebriert». Das Ganze sei eine «Kindergarten-Geschichte».

Höcker sagte weiter, es werde in jedem Fall zu einem Prozess gegen Böhmermann kommen - wenn nicht nach Paragraf 103 des Strafgesetzbuches, dem Paragrafen gegen Beleidigungen von Staatsoberhäuptern, dann nach Paragraf 185, den jede Privatperson nutzen kann, um gegen Beleidigungen vorzugehen.

Ob die Bundesregierung ihre Ermächtigung für eine Strafverfolgung nach Paragraf 103 ausspreche, werde sie an politischen Zweckmäßigkeiten ausrichten, glaubt Höcker. Dass in diesem Fall von der sonst üblichen Gewaltenteilung abgewichen werde, hält er für richtig: Das solle davor schützen, dass «ausländische Mächte» in Deutschland einfach so die Justiz «anwerfen» könnten. Böhmermann steht derzeit unter Polizeischutz. (dpa/KNA)