«Fanatismus»: Anschlag auf Sikh-Tempel jährt sich zum fünften Mal

Radikalisierte Muslime zündeten vor fünf Jahren in Essen eine Bombe, um «Ungläubige» zu töten. Der Anschlag der 16-Jährigen galt der Sikh-Gemeinde. Die schaut mittlerweile nach vorn, ohne das Attentat vergessen zu können: «Ein bisschen Angst haben wir noch.»



Essen. Die Bombe war ein umgebauter Feuerlöscher, die Sprengstoff-Chemikalien hatten die Täter zuvor im Internet bestellt: Vor fünf Jahren explodierte vor einer Eingangstür des Essener Sikh-Tempels ein selbstgebauter Sprengsatz. Ein Sikh-Priester erlitt Brandverletzungen und einen offenen Bruch am Fuß. Er kann seitdem seinen Beruf nicht mehr ausüben. Zwei Gemeindeglieder kamen mit Schnittverletzungen davon. Erst kurz vorher war in dem Saal eine Hochzeit mit vielen Gästen gefeiert worden.



Verantwortlich für die Tat waren drei damals erst 16 Jahre alte Jugendliche aus Gelsenkirchen, Essen und dem niederrheinischen Schermbeck. Vor der Tat sollen sie sich als Muslime monatelang radikalisiert haben, stellte das Landgericht Essen im Strafprozess elf Monate später fest. Am Motiv hatten die Richter keinen Zweifel: «Religiöser Fanatismus».



Die drei hätten vorher intensiven Kontakt in die salafistische Szene aufgebaut. Schließlich habe «Hass auf andere Religionen» sie dazu gebracht, den Anschlag zu verüben. «Die Angeklagten haben sich selbst  verstanden als gläubige Muslime und in ihrer Vorstellungswelt die Vorstellung gebildet, dass sie jetzt nun Ungläubige angreifen und möglicherweise sogar töten müssen», sagte damals ein Gerichtssprecher.



Die Chemikalien für den Sprengstoff hatten die Jugendlichen aus Essen und Gelsenkirchen im Internet bestellt. Am Tattag sollen sie sie in einen leeren Feuerlöscher gefüllt haben. Diese Bombe ließen zwei Jugendliche dann vor einer Tempeltür per Fernzündung explodieren. Das Gericht verurteilte sie zu rund sieben Jahren Jugendstrafe wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung. Der Jugendliche aus Schermbeck bekam wegen Verabredung zum Mord sechs Jahre. Er soll an Planung und Vorbereitung der Tat beteiligt gewesen sein.



Später stellte sich heraus, dass der Jugendliche aus Gelsenkirchen Kontakt zum Deutschland-Chef der Terrormiliz Islamischer Staat (IS), Abu Walaa, hatte. In dem vor einigen Wochen beendeten Prozess vor dem Oberlandesgericht in Celle hatte der Jugendliche im Dezember 2018 als Belastungszeuge ausgesagt. Mittlerweile sind alle drei 21 Jahre alt. Der Jugendliche aus Schermbeck ist laut Staatsanwaltschaft Essen auf freiem Fuß, der Rest der Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Ihm sei vom zuständigen Amtsgericht eine günstige Prognose ausgestellt worden, erklärt Oberstaatsanwältin Birgit Jürgens. Im Fall der anderen beiden liefen die Überprüfungen noch, ob die Reststrafen ebenfalls zur Bewährung ausgesetzt werden können.



Fünf Jahre sind seit dem Anschlag vergangen. «Ein bisschen Angst haben wir noch», sagt Mohinder Singh Nagpal, zweiter Vorsitzender des Trägervereins der Essener Sikh-Gemeinde. Von Zeit zu Zeit sei das Attentat noch Thema in den Gesprächen der Familien. Auch bei den Kindern spiele es eine Rolle. «100 Kinder waren damals da. Sie haben alles mitgekriegt.» Mit eigenen Augen hätten sie die Zerstörungen in der Gebetshalle gesehen, die Glassplitter, die überall herumlagen. Man sei auch vorsichtiger geworden, sagt Nagpal. So gebe es jetzt Überwachungskameras.



Hätten Fremde früher das Gelände einfach so betreten können, wolle man heute von Unbekannten wissen, wer sie seien. Ansonsten schaut die Gemeinde nach vorn: Gesucht wird ein Grundstück in Essen mit guter Verkehrsanbindung. Darauf will die Gemeinde ein neues, größeres Gemeindezentrum für den Gurdwara genannten Gebetsraum und andere Gemeinderäume errichten. Das Einzugsgebiet der Gemeinde sei mittlerweile groß, sagt Nagpal. So kämen einige Gemeindemitglieder etwa aus Neuss, andere aus dem Kreis Unna.

 

Und Corona? «Die Menschen kommen zum Gebet, aber nur für ein paar Minuten.» Die Plätze im Gebetsraum seien markiert mit zwei Metern Abstand voneinander. Die für Sikhs wichtige Küche, die man auf dem Weg zum Gebetsraum durchquert, ist allerdings geschlossen.



Eine besondere Gedenkveranstaltung am Jahrestag plant die Gemeinde nicht, sagt Thomas Grunau vom Initiativkreis Religionen in Essen. Zur Tatzeit am Abend gebe es ein Gebet - wie an jedem anderen Abend auch. (dpa)