Expertin sieht Potenzial für neue Strukturen in Islamverbänden

Islamverbände in Deutschland brauchen nach Ansicht der Göttinger Islamwissenschaftlerin Riem Spielhaus professionellere Strukturen. «Neustrukturierung und Professionalisierung sind letztlich Voraussetzung für eine staatliche Kooperation, zum Beispiel in den Bereichen Seelsorge, Religionsunterricht oder in der Frage der Sozialdienstleistungen von islamischen Religionsgemeinschaften», sagte Spielhaus am Donnerstag bei einer Online-Veranstaltung der Informationsplattform Mediendienst Integration.

«Es gibt viel Potenzial von muslimischer Seite, sich unabhängig von finanzieller Förderung und Einmischung aus dem Ausland zu organisieren und stabile sowie professionelle Strukturen aufzubauen», sagte Spielhaus. Die Wissenschaftlerin hat im Auftrag des Mediendienstes eine Expertise erstellt mit dem Titel «10 Jahre nach 'Der Islam gehört zu Deutschland'. Wie steht es um die rechtliche Anerkennung des Islams?».

Vor allem in den ersten fünf Jahren nach der umstrittenen Äußerung des damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff, der Islam gehöre zu Deutschland, habe es bei der rechtlichen Anerkennung des Islam Bewegung gegeben, sagte Spielhaus. Als wegweisende Lösung hätten 2012 und 2013 in Hamburg und Bremen abgeschlossene religionsverfassungsrechtliche Verträge gegolten, die auch andere Bundesländer verfolgt hätten.

Nach dem Putschversuch in der Türkei 2016 seien entsprechende Gespräche, etwa in Rheinland-Pfalz, jedoch ausgesetzt worden, weil die Landesregierungen die Einflussnahme der Türkei auf den Dachverband Ditib befürchtet hätten, berichtete die Expertin. Hier sei deutlich geworden, dass es an struktureller Eigenständigkeit der Organisationen fehle.

Seitdem habe es aber innerhalb der muslimischen Gemeinschaft Bewegung gegeben, betonte Spielhaus. «Es gab in den letzten vier Jahren eine ganze Reihe von Diskussionen unter Musliminnen und Muslimen - nicht mehr nur auf Türkisch oder Arabisch, sondern in deutscher Sprache - wie sich der Islam organisieren und ausrichten sollte.» Vor allem seien neu gegründete Initiativen jüngerer Muslime zu beobachten. «Hier wächst eine neue Generation heran, die sich in Deutschland verortet und die es darauf absieht, mit den verschiedenen Ebenen der deutschen Politik ins Gespräch zu kommen und zu kooperieren.»

Um professionellere Strukturen aufzubauen, brauchten die muslimischen Organisationen nun vor allem kompetentes und gut ausgebildetes Personal, sagte Spielhaus. Positiv sei, dass einige Bundesländer, aber auch zivilgesellschaftliche Organisationen das Potenzial der muslimischen Verbände sähen und unterstützten. So gebe es zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz entsprechende Kompetenznetzwerke. «Wir werden hier in den nächsten zehn Jahren wahrscheinlich noch einige Veränderungen beobachten können», sagte Spielhaus. (epd)