Expertin: Iranerinnen wehren sich gegen die Mullahs

Zürich. Die Religionswissenschaftlerin Farida Stickel sieht in den Protesten im Iran Parallelen zum Beginn des sogenannten Arabischen Frühlings Ende 2010. "Der Unmut in der Bevölkerung ist riesig; es hat sich große Unzufriedenheit angestaut" über Inflation, Arbeitslosigkeit, Korruption und Einschränkung der persönlichen Freiheiten, sagte Stickel im Interview des Schweizer Portals kath.ch. Diese Perspektivlosigkeit sei schon seit langem "ein explosiver Mix". Der Tod der jungen Mahsa Amini sei "der Funke, der zur Explosion führte".

Die 22-jährige Iranerin hatte in der vergangenen Woche gegen die streng-islamischen Kleidervorschriften der Regierung verstoßen und wurde verhaftet. Drei Tage später starb sie im Gefängnis unter ungeklärten Umständen. Seitdem haben Proteste in mehreren Städten des Landes immer weiter an Fahrt aufgenommen.

Anders als bei früheren Sozialprotesten seien diesmal Frauen die treibenden Kräfte, konstatiert Stickel, die als Geschäftsführerin das Religionswissenschaftliche Seminar der Universität Zürich leitet. Die Mehrheit der iranischen Frauen erfahre den Schleier heute als Unterdrückung.

Die Wissenschaftlerin erinnerte an den Iran-Irak-Krieg Anfang der 1980er Jahre. Damals seien viele Männer gefallen, und die Frauen mussten oftmals deren Aufgaben übernehmen. Der Schleier habe ihnen den Auftritt im öffentlichen Leben ermöglicht und so auch Autonomie und Emanzipation befördert. Diese Schutzfunktion habe an Bedeutung verloren, so Stickel. Viele Frauen im Iran seien heute gebildet und emanzipiert. Es nähmen Aktionen in den sozialen Medien zu, wo sich Frauen filmen, wie sie ihren Schleier wegwerfen, verbrennen oder sich die Haare abschneiden.

Gefragt, ob sie Parallelen zwischen dem Verhüllungsgebot im Iran und Verhüllungsverboten in westlichen Ländern sehe, sagte die Religionswissenschaftlerin, in beiden Fällen handele es sich um Stellvertreterdebatten: "Über die Kleidervorschrift versucht man für Frauen zu bestimmen, wie sie zu leben haben. Es wird ihnen abgesprochen, dass sie selbst wählen können, wie sie sich kleiden und leben wollen." (KNA)