Erinnerungskultur aufrecht erhalten: Juden und Muslime gedenken in Auschwitz des Holocausts

Am Ende wollen junge Juden und muslimische Flüchtlinge Telefonnummern austauschen. Kann das vielleicht ein Beitrag für ein besseres Miteinander werden? "Steter Tropfen höhlt den Stein", meint der Rabbiner.

Diese Reise war von Anfang an mit Spannung erwartet worden. Fünf Tage lang waren junge Juden und muslimische Flüchtlinge, die jetzt in Deutschland leben, in Polen unterwegs. Und sie besuchten gemeinsam den Ort, der das Symbol für den Holocaust und die Grausamkeiten der Nationalsozialisten ist: das ehemalige Konzentrationslager Auschwitz, in dem Schätzungen zufolge etwa 1,1 Millionen Menschen ermordet wurden.

"Es war eine harte Reise", fasst der 18-jährige Abdullatis aus Aleppo seine neuen Eindrücke zusammen. "Als ich das gesehen habe, war es schrecklicher als gedacht." In der Schule in Syrien seien ihm viele Details nicht vermittelt worden. "Ich wurde so erzogen, dass wir alle anderen Religionen respektieren müssen. Ich hatte einen Freund, der Jude war." Abdullatis, der seinen Familiennamen nicht nennen möchte und seit 2016 in Deutschland lebt, betont: "Wir sind antizionistisch, nicht antisemitisch erzogen worden."

Nach einem Aufenthalt in Krakau, der Besichtigung von Auschwitz und einer interreligiösen Gedenkfeier dort stehe für ihn fest: "Ich denke, dass wir einfach in Frieden leben sollten." Er wolle Freunden und Bekannten von der Reise erzählen und seine Meinung über Juden vermitteln: "Das sind doch Menschen wie wir." Und von all diesen Menschen will Abdullatis Telefonnummern mit nach Hause nehmen, um Kontakt mit ihnen zu halten.

Damit greift er eine Hoffnung auf, die die Generalsekretärin der Union progressiver Juden, Irith Michelsohn, im Vorfeld geäußert hatte: "Dies kann der Anfang eines friedlichen Zusammenlebens in Deutschland werden." Am Ende der Reise sagt sie: "Wir sind eine Gruppe geworden." Die Reise sei nicht das Ende der Begegnung - denn die 25 jungen Leute wollten schon jetzt ein Nachtreffen. Michelsohn sagt, wenn man ein solches Zusammensein vorlebe, könne man auch zeigen, dass ein Miteinander jenseits von Vorurteilen und Hass möglich sei.

Der frühere Landesrabbiner Henry G. Brandt, der bei dem Gedenken am Donnerstag eine Ansprache hielt und das jüdische Totengebet Kaddisch sprach, sagt, dass der Kreis der Reisenden freilich nicht so groß sei, dass er die Gesellschaft verändern könne. Aber: "Steter Tropfen höhlt den Stein."

Auf die Beine gestellt hatten die Reise die Union progressiver Juden in Deutschland und der Zentralrat der Muslime in Deutschland. Die Teilnehmer stammen aus Thüringen, Schleswig-Holstein und Nordrhein- Westfalen. Bei der Gedenkfeier mit Kranzniederlegung waren auch die Ministerpräsidenten von Thüringen, Bodo Ramelow (Linke), und von Schleswig-Holstein, Daniel Günther (CDU), sowie die schleswig- holsteinische Bildungsministerin Karin Prien (CDU) dabei.

Ramelow sagte kürzlich der "Jüdischen Allgemeinen", es sei wichtig, dass sich muslimische und jüdische Jugendliche mit der dunklen deutschen Geschichte befassten. Gespräche zu führen und sich kennenzulernen, sei wesentlich, betont auch Brandt. "Denn wer den anderen kennt, ist gefeit vor Hass."

Der 26-jährige Dan Rattan, Vorstandsmitglied der Union progressiver Juden, sagt in Auschwitz: "Wir sind sehr respektvoll miteinander umgegangen." Wenn man miteinander spreche, könne Gutes entstehen. Damit könne man vielleicht niemanden erreichen, der extreme Positionen vertrete - sehr wohl aber offene Menschen.

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, sieht eine Verantwortung von deutschen Muslimen für ihr Land. Als muslimische Deutsche habe man die Gedenkstätte besuchen wollen, "weil wir, weil der Islam Teil unseres Landes ist und wir damit selbstverständlich auch Verantwortung für unser Land tragen", heißt es in einem Manuskript der Rede für die Gedenkfeier. "Jede Form von Antisemitismus, gruppenspezifische Menschenfeindlichkeit und Rassismus ist eine Sünde im Islam."

Was folgt also aus der Reise? Die Union und der Zentralrat wollten sich zu einem späteren Zeitpunkt zusammensetzen und über mögliche Folgeprojekte beraten, kündigt Rattan an. Auch sei es künftig für jeden Einzelnen leichter, bei antisemitischen Vorurteilen ei