Erdogans Triumph bei wegweisenden Wahlen in der Türkei

Der Kampf war hart, umso größer ist nun der Triumph. Nach dem Sieg bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am Sonntag ist Recep Tayyip Erdogan am Ziel seiner Wünsche.

Unter dem neuen Präsidialsystem wird der 64-jährige Patriarch, der wie kein anderer Politiker der letzten Jahrzehnte die Türkei geprägt hat, mehr Macht haben denn je zuvor. Doch zeigt das Ergebnis, wie sehr der der AKP-Chef die türkische Gesellschaft spaltet. Auch sorgten die Umstände seiner Wiederwahl bei der Opposition für Zweifel.

Noch vor der Verkündung der Endergebnisse reklamierte Erdogan in Istanbul den Sieg für sich. "Die nicht offiziellen Ergebnisse sind klar", sagte Erdogan am Sonntagabend. "Ihnen zufolge hat die Nation mir die Verantwortung als Präsident der Republik übertragen." Doch die oppositionelle CHP äußerte Zweifel an den offiziellen Zahlen. Auch gab es während der Wahl Berichte über zahlreiche Unregelmäßigkeiten.

Vor der Wahl schien es erstmals eng zu werden für den Mann aus dem Istanbuler Arbeiterviertel Kasimpasa, der seit der Gründung seiner islamisch-konservativen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) noch keine Wahl verloren hat. Die Opposition zeigte sich ungewohnt geeint und mit dem CHP-Kandidaten Muharrem Ince sah sich Erdogan einem Politiker gegenüber, der ihm als Wahlkämpfer durchaus gewachsen war.

Doch offenbar ist es dem "Reis" (Meister), wie ihn seine Anhänger nennen, erneut gelungen, die Wähler zu mobilisieren. Immer wieder hob der frühere Istanbuler Bürgermeister hervor, wie viele Straßen, Brücken und Flughäfen er gebaut hat, und versprach weitere Großprojekte wie einen riesigen Schifffahrtskanal in Istanbul. Vieles klang dabei bekannt, doch für eine Mehrheit der Türken verkörpert Erdogan noch immer die Hoffnung auf Aufschwung.

Zwar steigt die Verschuldung, das Außenhandelsdefizit wächst, die Währung hat dramatisch an Wert verloren und die steigenden Preise machen den Leuten zunehmend zu schaffen. Doch Erdogan hat Millionen Türken zu Wohlstand verholfen, und unter seiner Regierung hat das Land einen beeindruckenden Wachstumsschub erlebt, während die Infrastruktur massiv ausgebaut und das marode Gesundheitssystem modernisiert wurden.

Seine Wähler sind dafür offenbar bereit, Erdogan zu vergeben, dass er viele der Reformen zurückgedreht hat, die ihn in seinen ersten Amtsjahren auch für liberale Türken zum Hoffnungsträger gemacht hatten: Der EU-Beitrittsprozess liegt auf Eis, die Annäherung an Armenien ist gestoppt und der Friedensprozess mit den Kurden ist erneuter Gewalt gewichen. Statt Demokratisierung und Öffnung herrschen heute Polarisierung und Repression.

Der Politiker, der seine Karriere in der islamistischen Milli Görüs Bewegung von Necmettin Erbakan begann, war noch nie ein Mann des Ausgleichs, doch seit den Gezi-Protesten 2013 reagiert er auf Widerspruch mit aller Härte. Zahllose Menschen verklagte er wegen Beleidigung und überzog kritische Journalisten mit Prozessen. Viele unabhängige Medien wurden von regierungsnahen Konzernen aufgekauft und in der Folge auf Linie gebracht.

Seit 2013 eskalierte auch der Machtkampf mit seinem früheren Verbündeten Fethullah Gülen. Als in der Nacht des 15. Juli 2016 ein Teil des Militärs Erdogan bei einem blutigen Putschversuch zu stürzen versuchte, machte er die Bewegung des islamischen Predigers dafür verantwortlich. Es folgte eine Welle der Festnahmen sowie die Entlassung zehntausender mutmaßlicher Gülen-Anhänger aus dem Staatsdienst. Auch viele andere Gegner wurden entfernt.

Der Putschversuch hat Erdogan tief geprägt und das Land gespalten. Durch die Debatte um das Präsidialsystem wurde diese Polarisierung nur noch verschärft. Nach der Wahl tritt das neue System nun in Kraft, auf das Erdogan über Jahre hingearbeitet hat. Der Patriarch ist damit am Ziel seiner Wünsche und seine Macht auf lange Sicht gestärkt. Seine Anhänger triumphieren, doch seine Gegner befürchten, dass die Türkei nun endgültig zum Ein-Mann-Regime wird. (AFP)