Erdogan kündigt Öffnung der Hagia Sophia für muslimische Gebete an

Nach dem Gerichtsurteil zur Umwandlung der Basilika Hagia Sophia in Istanbul in eine Moschee soll das Gebäude nach Angaben des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan für muslimische Gebete geöffnet werden. Die Hagia Sophia werde der Aufsicht der Religionsbehörde unterstellt und für muslimische Gottesdienste geöffnet, erklärte Erdogan am Freitag im Kurzbotschaftendienst Twitter. Zuvor hatte das Oberste Verwaltungsgericht der Türkei den seit 1935 bestehenden Status eines Museums für den Kuppelbau aus dem 6. Jahrhundert aberkannt.

Die Hagia Sophia ("Göttliche Weisheit"), erbaut als Palast- und Krönungskirche der byzantinischen Kaiser, gehört zu den großen Bauwerken der Menschheit, möglich gemacht durch eine schier höllische Steuerschraube, die Justinian von seinem obersten Verwalter Johannes von Kappadokien anziehen ließ. Nachdem der Vorgängerbau, bereits eine fünfschiffige Basilika, im Zuge eines Aufstands bei einem Stadtbrand zerstört wurde, planten die Architekten Isidor von Milet und Anthemios von Tralleis einen Bau der Superlative. Entstanden in nur knapp sechs Jahren (532-537), wurde er zum Vorbild unzähliger späterer religiöser Bauwerke.

Der zentrale Kuppelbau symbolisierte die Kaiserideologie als Beherrscher aller vier Himmelsrichtungen - und bildete zugleich das himmlische Jerusalem ab. Die riesige Kuppel wird durch mehrere Halb- und Nebenkuppeln abgestützt; Fensterreihen am Fuß lassen den Eindruck eines schwebenden Dachs entstehen.

Der Historiker Prokop von Caesarea lobte die "unaussprechliche Schönheit" der Kuppel, die wider alle Vernunft schwerelos "als goldene Kugel am Himmel zu hängen und den ganzen Raum zu bedecken" schien. Als der Kaiser die Kirche zum ersten Mal betrat, soll er ausgerufen haben: "Salomo, ich habe dich übertroffen."

Allerdings: Nach einem Erdbeben 557 stürzte die Kuppel ein; sie wurde bis 563 wiederhergestellt und auf 56 Meter erhöht. So kühn war der Bau, dass in den folgenden Jahrhunderten immer mehr Stützmauern den Außenbau verstärken mussten. Aber: Was das Äußere klobig erschienen ließ, erhielt zugleich die Schwerelosigkeit im Inneren.

Die Hagia Sophia wurde auch Schauplatz der Spaltung von West- und Ostkirche im "Großen Schisma" von 1054; der gegenseitigen Exkommunikation, die erst 1965 aufgehoben wurde. Dieser und viele spätere Vorgänge vertieften den Graben zwischen orthodoxer und römischer Kirche; allen voran die Eroberung und komplette Plünderung Konstantinopels und der Hagia Sophia durch westliche (christliche) Kreuzfahrer im Vierten Kreuzzug 1204.

1453 eroberten die Truppen Sultan Mehmets II. die geschwächte Hauptstadt. Nach über 1.000 Jahren hörte die Palastkirche auf, eine bzw. die christliche Kirche überhaupt zu sein. Außen wurden vier Minarette angefügt; im Innenraum ersetzten muslimische Insignien die christlichen. Ikonen wurden entfernt und Mosaike verputzt; sie wurden erst im 20. Jahrhundert wieder freigelegt. Der Eroberer und neue Machthaber ernannte 1454 den Mönch Gennadios zum Patriarchen; die einst mächtige orthodoxe Kirche wurde damit gleichsam zu einer staatlichen Institution unter vielen im muslimischen Osmanischen Reich.

Von der überaus prächtigen Innenausstattung der Sophienkirche ist außer den freigelegten Mosaiken kaum etwas erhalten, vor allem durch die Plünderungen der christlichen Kreuzfahrer 1204. An die Zeit als Moschee erinnern noch die Gebetsnische in der Apsis, die Tribüne des Vorbeters, die Kanzel für die Freitagspredigt sowie die mächtigen Schilder mit den Namen der ersten vier Kalifen.

Nach dem Untergang des Osmanischen Reiches und der Ausrufung der Türkischen Republik 1923 wandelte Staatsgründer Mustafa Kemal "Atatürk" die Moschee 1934/35 in ein Museum um. Bis heute forderten immer wieder muslimische Fundamentalisten und Nationalisten, sie erneut zur Moschee zu machen. Die orthodoxen Kirchen insbesondere in Griechenland und Russland protestierten.

Nicht nur bis zur Spaltung von 1054 hat auch Rom immer eine enge Verbindung mit der Hagia Sophia gehabt. Wie wohl kein anderer Papst nach ihm hat Paul VI. (1963-1978) ihren christlichen Charakter herausgestellt; schon allein damit, dass er sie bei seiner Kurzvisite 1967 sofort als erstes nach seinem Eintreffen am Bosporus besuchte. In der einst mächtigsten Kirche der Welt kniete Paul VI. zum Gebet nieder - und brachte damit den türkischen Außenminister Ihsan Sabri Caglayangil in einige Verlegenheit. Denn eigentlich ist dort jedes religiöse Zeichen strikt verboten.

Laut einem Journalisten im Tross sagte der Papst damals: "Diese Kirche sollte wieder werden, was sie ursprünglich war!" Auf die Frage des Ministers, wie er das meine, habe der Papst auf den Kölner Dom verwiesen, wo im Februar 1965 im nördlichen Seitenschiff Hunderte muslimischer Gastarbeiter den Abschluss ihres Fastenmonats Ramadan feiern durften. Die Hagia Sophia als Simultaneum also; als Kirche und Moschee zugleich?

So weit wie der Konzilspapst sind nach ihm weder Johannes Paul II. (1979), Benedikt XVI. (2006) noch Franziskus (2014) bei ihren Türkei-Besuchen gegangen. Sie verzichteten an diesem historisch so einmaligen Ort auf jede heikle Demonstration. (AFP/KNA)