Erdogan droht EU mit fortgesetzter Grenzöffnung für Flüchtlinge

Trotz massiver Kritik will der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan die Grenzen für Flüchtlinge weiter offen halten. Es sei nun an der EU, ihren "Teil der Last" zu tragen, sagte Erdogan am Montag in einer Fernsehansprache. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nannte die türkische Grenzöffnung "inakzeptabel". EU-Migrationskommissar Margaritis Schinas betonte, die EU werde sich nicht "erpressen" lassen. An der türkisch-griechischen Grenze kam es unterdessen zu dramatischen Szenen.

"Hunderttausende" Flüchtlinge hätten sich seit der Grenzöffnung auf den Weg Richtung Europa gemacht, "bald werden es Millionen sein", sagte Erdogan. Nach Beobachtungen von AFP-Fotografen vor Ort scheinen diese Zahlen jedoch stark übertrieben zu sein.

Infolge der Eskalation des militärischen Konflikts in Nordsyrien hatte die Türkei am Wochenende ihre Grenzen für Flüchtlinge geöffnet, die in die EU gelangen wollen. Den Schritt begründete Ankara damit, dass sich die EU nicht an ihre Verpflichtungen aus dem 2016 mit der Türkei geschlossenen Flüchtlingsabkommen halte.

Merkel forderte, dass das Abkommen von beiden Seiten "akzeptiert und umgesetzt" werden müsse. Es sei zwar verständlich, dass die Regierung in Ankara mehr Unterstützung von der EU erwarte. Es sei aber "völlig inakzeptabel", dass dies "auf dem Rücken der Flüchtlinge" ausgetragen werde. 

Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) sprach angesichts der Lage an der griechisch-türkischen Grenze von einer "Bewährungsprobe" für die EU und warf den Mitgliedstaaten vor, bislang bei der Schaffung eines gemeinsamen europäischen Asylsystems versagt zu haben. Hier brauche es nun dringend einen europäischen Kompromiss, forderte Maas.

Führende EU-Vertreter wollen sich am Dienstag in Griechenland ein Bild der Lage verschaffen. EU-Ratspräsident Charles Michel, EU-Parlamentspräsident David Sassoli und sie selbst würden nach Griechenland an die Grenze zur Türkei reisen, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Brüssel.

Wie EU-Migrationskommissar Schinas am Montagabend bei Twitter bekanntgab, kommen die EU-Innenminister am Mittwoch zu einem Sondertreffen in Brüssel zusammen, um über konkrete Unterstützungsmaßnahmen für Griechenland zu beraten. Zuvor hatte bereits die EU-Grenzschutzagentur Frontex zusätzliche Hilfe für Griechenland zugesagt. Sie forderte alle EU- und Schengen-Staaten auf, den Einsatz mit Personal und Ausstattung zu unterstützen.

Im griechisch-türkischen Grenzort Kastanies gab es am Montag Zusammenstöße zwischen Flüchtlingen und Sicherheitskräften, wie die Regierung in Athen mitteilte. Laut offiziellen Angaben hinderten griechische Grenzschützer am Wochenende etwa 10.000 Menschen am Grenzübertritt. Ein Vertreter der türkischen Regierungspartei AKP warf griechischen Grenzschützern am Montag vor, einen Syrer durch den Einsatz von Tränengas getötet zu haben. Die Regierung in Athen wies dies zurück.

Mit Blick auf die Lage der Flüchtlinge im griechisch-türkischen Grenzgebiet warnte der Europarat vor einer "beispiellosen humanitären Krise" und forderte "sofortige Maßnahmen" zum Schutz der Menschen.

Knapp eine Million Menschen sind seit Dezember aus den umkämpften Gebieten im Nordwesten Syriens geflohen. Die Gefechte um die letzte Milizenhochburg Idlib hatten sich zuletzt verschärft. Bei einem Luftangriff, der mutmaßlich von syrischen Regierungstruppen ausging, wurden mehr als 30 türkische Soldaten getötet. Die Türkei startete daraufhin eine Militäroffensive.

Russland unterstützt in dem militärischen Konflikt die syrische Regierung, die Türkei steht auf Seiten einiger Milizen. Direkte Auseinandersetzungen mit Russland will die Türkei aber vermeiden. Nach Angaben aus Ankara wird Erdogan am Donnerstag zu einem eintägigen Besuch nach Russland reisen. Er hoffe, dass bei den Gesprächen mit Putin eine Feuerpause erreicht werden könne "und wir eine Lösung in dieser Sache finden werden", sagte Erdogan.

Der syrische Machthaber Baschar al-Assad führt seit Dezember zusammen mit Russland eine Offensive rund um Idlib. Dort sind vor allem islamistische und dschihadistische Milizen aktiv. (AFP)