Empörung über Nein des Bundes zur Aufnahme von Afghanen

Hunderte Afghanen sollten nach Thüringen zu ihren Verwandten kommen können, doch die Ambitionen der rot-rot-grünen Landesregierung sind nun am Nein des Bundesinnenministeriums gescheitert. Als «schockierend» bezeichnete der migrationspolitische Sprecher der Thüringer SPD-Fraktion, Thomas Hartung, die Entscheidung von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). "Wir lassen hier Leute zurück, die sich Sorgen um ihre Angehörigen machen. Das ist ein Unding", sagte Hartung. Es sei inakzeptabel, wenn die Menschen, die über das Landesaufnahmeprogramm nach Thüringen hätten kommen können, nun gar nicht kommen dürften.

"Dass der Bundesinnenminister Seehofer das Thüringer Programm heute stoppt, ist vollkommen inakzeptabel, entspricht aber der flüchtlingsfeindlichen Haltung der CDU und CSU", teilte der Linke-Landesvorstand nach einer Sitzung am Freitagabend mit. "Angesichts der katastrophalen Zustände, die durch den unkoordinierten Abzug der internationalen Truppen in Afghanistan herrschen, ist eine schnelle und unbürokratische Hilfe für die Ortskräfte und alle gefährdeten Menschen notwendig."

Erst Anfang der Woche hatte das Thüringer rot-rot-grüne Kabinett grünes Licht für ein Landesaufnahmeprogramm gegeben, über das Flüchtlinge aus Afghanistan unter bestimmten Voraussetzungen zu Verwandten nach Thüringen hätten kommen können. Notwendig war aber auch die Zustimmung des Bundes. Thüringens Migrationsminister Dirk Adams (Grüne) hatte das Programm daher bewusst ähnlich zu einem früheren Aufnahmeprogramm für syrische Flüchtlinge gestaltet, in der Hoffnung, dass - wie damals auch - diesmal der Bund zustimmen würde.

Nun aber erteilte Seehofer den Plänen eine Absage. Er sehe für Landesaufnahmeprogramme der Bundesländer derzeit keine Notwendigkeit, teilte eine Sprecherin des Ministeriums am Freitag mit.

Die Bundesregierung unternehme große Anstrengungen, um nach dem Ende der Evakuierungen den noch dort verbliebenen anerkannten afghanischen Ortskräften und besonders gefährdeten Personen die Ausreise aus Afghanistan und eine Aufnahme in Deutschland zu ermöglichen, betonte die Sprecherin des Bundesministeriums. Zudem sei Minister Seehofer der Überzeugung, dass die Situation in Afghanistan nicht auf nationaler Ebene gelöst werden könne, sondern dass ein gemeinsames europäisches Vorgehen erforderlich sei.

Thüringens Migrationsminister Adams reagierte zunächst zurückhaltend. Seinem Ministerium liege bislang noch keine Äußerung des Bundesinnenministeriums vor. Man gehe weiterhin davon aus, dass die Aufnahmeanordnung genehmigungsfähig sei. Seehofers Ministerium berufe sich in der Argumentation offenbar auf eine Innenministerkonferenz vom 18. August. "Wir haben keine Kenntnis von einem Beschluss, der einer Landesaufnahmeanordnung in Thüringen widersprechen würde", sagte Adams. Zudem habe sich die Situation in Afghanistan seitdem stark verändert, argumentierte der Grünen-Politiker.

Die Thüringer Grünen-Fraktionschefin Astrid Rothe-Beinlich erklärte, Seehofers Nein sei "angesichts der furchtbaren Situation in Afghanistan skandalös und an Zynismus kaum zu überbieten".

Dagegen begrüßte die Thüringer CDU-Fraktion die Entscheidung. Die Sonderwege von Rot-Rot-Grün seien nicht zielführend, teilte der justizpolitische Sprecher der Thüringer CDU-Fraktion, Stefan Schard, mit. Dem Migrationsminister Adams warf er eine "Schaufensterpolitik" vor. Die Ablehnung sei absehbar gewesen. "Rot-Rot-Grün sollte sich darauf konzentrieren, die bisher ungelösten Probleme in der Migrationspolitik in Thüringen in den Griff zu bekommen", erklärte Schard.

Der migrationspolitische Sprecher der Thüringer Linke-Fraktion, Patrick Beier, griff Seehofer direkt an. Dessen Verweigerung zeige erneut "seine menschenverachtende Grundhaltung in Fragen humanitärer Hilfspflichten". Beier forderte, das Landesaufnahmeprogramm dem Bundesinnenministerium erneut vorzulegen, wenn es zu einem Personalwechsel nach der Bundestagswahl komme.

Die Thüringer Anordnung, die nun scheiterte, hatte eine Reihe von Voraussetzungen vorgesehen, die afghanische Flüchtlinge hätten erfüllen müssen, um in den Freistaat kommen zu können. Unter anderem wurden verwandtschaftliche Beziehungen zu Menschen verlangt, die in Thüringen aufenthaltsberechtigt sind und die selbst oder durch Dritte «bereit und in der Lage sind, den Lebensunterhalt ihrer Verwandten während des Aufenthalts in Deutschland zu sichern», hieß es in der Anordnung.

Außerdem sollten die Angehörigen in Thüringen einen Aufenthaltstitel haben und sich schon mindestens seit einem Jahr in Deutschland aufhalten. Zudem war notwendig, dass sie ihren Hauptwohnsitz seit mindestens sechs Monaten in Thüringen haben. (dpa)

 

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