Des Sultans neue Gesetze

Als erstes Land in Südostasien hat das kleine Sultanat Brunei die Scharia eingeführt, die Bevölkerung schwankt dabei zwischen Fügsamkeit und Selbstzensur. Welche Folgen hat die Entscheidung für den Islam in der Region? Von Roxana Isabel Duerr

Von Roxana Isabel Duerr

Er soll die weltweit größte Sport und Luxuswagen-Sammlung besitzen und lebt in einem Palast mit 1.800 Zimmern. Hassanal Bolkiah ist einer der reichsten Männer der Welt und nicht nur für seinen ausschweifenden Lebensstil bekannt. Als Sultan von Brunei herrscht er seit 1967 über seine 420.000 Untertanen. Der 67-Jährige Monarch ist Staatsoberhaupt, Regierungschef, Verteidigungsminister und Finanzminister in Personalunion und zugleich oberster Hüter der islamischen Staatsreligion. Die Einführung der Scharia in seinem Königreich bezeichnet er als "großen Erfolg". Seit dem 1. Mai 2014 ist Brunei der erste Staat in Südostasien, in dem das Strafrecht nach islamischer Rechtslehre auf nationaler Ebene gilt.

Einführung des Scharia-Strafrechts in drei Phasen

Seitdem gilt die erste Phase der Strafrechtsreform in Brunei, von nun an können allgemeine Verstöße wie die Nichtbeachtung des Fastenmonats Ramadan und des Freitagsgebets mit Geld- oder Haftstrafen geahndet werden. In zwölf Monaten soll dann die zweite Phase in Kraft treten: Delikte wie Diebstahl oder Alkoholkonsum durch Muslime könnten dann mit Auspeitschen oder Amputieren von Gliedmaßen bestraft werden. In der finalen Phase soll die Todesstrafe, einschließlich Steinigung, etwa für Ehebruch, Sodomie und Beleidigung des Propheten Mohammeds gelten.

Unklar ist noch, wie die Scharia-Rechtsprechung neben dem von der britischen Kolonialmacht geerbten Zivil- und Strafrecht in der Praxis konkret durchgeführt werden soll. Joshua Roose, Politik- und Sozialwissenschaftler an der Australian Catholic University in Melbourne, relativiert jedoch die Einführung der strikten Gesetze: "Man darf nicht übersehen, dass auch die Scharia einen rechtlichen Ermessensspielraum bietet." Es bleibe abzuwarten, bis zu welchem Grad diese Gesetze auch tatsächlich angewendet würden, so Roose.

 Muslime aus Brunei beten in der Jame'asr Hassanil Bolkiah Moschee in Bandar Seri Begawan; Foto: REUTERS/Ahim Rani
Scharia-Einführung als Phasenmodell: Zunächst geht es um allgemeine Vergehen, die mit Haft oder Geldbußen geahndet würden. Später kommen körperliche Strafen wie Auspeitschen oder das Amputieren von Gliedmaßen sowie die Todesstrafe hinzu.

Juristen und Menschenrechtsorganisationen reagierten unterdessen alarmiert. Die Entscheidung sei für die Menschenrechte in Brunei ein "riesiger Schritt zurück", sagt Phil Robertson, stellvertretender Asien-Direktor der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. "Sie ist ein autoritärer Schachzug in Richtung brutaler, mittelalterlicher Strafen, die in der modernen Welt des 21. Jahrhunderts keinen Platz haben", so der Menschenrechtsexperte. "Nach internationalem Recht ist die Steinigung von Menschen Folter", sagt der Sprecher der UN-Menschenrechtskommission Rupert Colville. Erfahrungen aus anderen Ländern zeigten, dass vor allem Frauen von den härtesten Strafen wie etwa Steinigungen betroffen seien.

Emerlynne Gil von der Internationalen Juristenkommission in Bangkok appellierte insbesondere an die Verantwortung der ASEAN, dem Verband südostasiatischer Nationen. "Die ASEAN möchte der Welt beweisen, dass sie eine rechtschaffene Organisation ist, die in der Lage ist, ihre eigenen regionalen Menschenrechtsnormen zu entwickeln. Diese Bestrebungen werden von den neuen Gesetzen in Brunei untergraben", so die Rechtsberaterin für Südostasien. Bis 2015 soll die ASEAN-Wirtschaftsgemeinschaft verwirklicht werden, die insbesondere die Freizügigkeit der Bürger innerhalb der Mitgliedstaaten garantieren soll. "Die ASEAN-Mitgliedsstaaten sollten sich bewusst sein, dass ihre Bürger bei Aufenthalten in Brunei von nun an diesen restriktiven Gesetzen unterworfen sind", so Gil.

Bruneis Bevölkerung zwischen Fügsamkeit und Selbstzensur

Dabei ist jedoch noch unklar, inwieweit auch Nicht-Muslime in Brunei der Scharia unterliegen werden. Rund zwei Drittel der Staatsbürger sind muslimische Malaien, die restlichen Einwohner sind überwiegend ethnische Chinesen, Filipinos, westliche Expats und indigene Völker mit unterschiedlichsten Glaubensrichtungen.

Joshua Roose hält es für wahrscheinlich, dass die muslimische Mehrheit das neue Gesetz sogar zu einem gewissen Grad befürwortet. Unmut würde in Brunei sowieso nicht öffentlich geäußert. "Seit Jahrzehnten ist Brunei eine gütige Diktatur. Sie wurde dank ihres relativen Reichtums von sozialen Unruhen, die andere südostasiatische Staaten erlebt haben, stets abgeschirmt", so der Islam-Experte.

Seit jeher profitiert die Bevölkerung von den Erdöleinnahmen und genießt weitgehende Steuerfreiheit und umfangreiche Sozialleistungen wie ein kostenloses Bildungs- und Gesundheitssystem. Das Königreich habe sich die Fügsamkeit seiner Untertanen gewissermaßen erkauft, meint Rechtsexpertin Gil. Sie ist jedoch besorgt über die zunehmende Selbstzensur: "Aus Angst vor Verfolgung halten sich die Menschen mit Kritik über das neue Strafrecht zurück."

Ein Trend für den Islam in Südostasien?

Selbst wenn in den Nachbarstaaten Malaysia und Indonesien traditionell ein eher moderater Islam vorherrscht, gibt es auch dort Tendenzen zu mehr Orthodoxie. Robertson sieht darin einen besorgniserregenden Trend: "Sowohl in Malaysia als auch in Indonesien gibt es Bestrebungen, die Religion zu nutzen, um die Menschenrechte anderer religiöser und sozialer Gruppen einzuschränken".

Frauen in Aceh; Foto: AP
Auch in Indonesiens Provinz Aceh gilt die Scharia

Die indonesische Provinz Aceh führte bereits im Jahr 2000 eine mildere Form der Scharia ein. In den diesjährigen nationalen Parlamentswahlen jedoch schnitten die konservativ-islamischen Parteien mit nur einem Drittel der Stimmen schlecht ab.

In Malaysia steht der Staat Kelantan unter der Führung der islamistischen Oppositionspartei PAS. Sie denkt seit kurzem über die Einführung der Scharia im Strafrecht nach. Laut Verfassung ist Malaysia jedoch ein säkularer Staat.

Juristin Gil sieht dennoch keinerlei Anzeichen dafür, dass der Islam in Südostasien auf breiter Front konservativer wird: "Brunei befindet sich seit vier Jahrzehnten im Ausnahmezustand, der Sultan selbst stellt gleichzeitig die Exekutive und die Legislative. Dieses Gesetz entspricht dem Willen einer einzigen Person oder einer kleinen Gruppe, die diese Person beeinflusst. Das ist kein Trend. Ich denke nicht, dass die Bevölkerung Bruneis sich dieses Gesetz gewünscht hat. Sie hatte keinerlei Mitspracherecht."

Manche Analysten gehen davon aus, dass die Entscheidung des Sultans politisch motiviert ist. Mit künftig schwindenden Ressourcen und daraus resultierenden möglichen sozialen Spannungen sei die Scharia auch eine Möglichkeit für Herrscher Bolkiah, die gesellschaftliche Kohäsion zu wahren und sein politisches Erbe zu sichern.

Roxana Isabel Duerr

© Deutsche Welle 2014

Redaktion: Thomas Latschan/DW