Ein Jahr Haft für marokkanische Journalistin wegen "illegaler Abtreibung"

Die marokkanische Journalistin Hajar Raissouni ist von einem Gericht in der Hauptstadt Rabat wegen "illegaler Abtreibung" und des Führens einer außerehelichen Beziehung am Montag zu einem Jahr Haft verurteilt worden. Die 28-Jährige bestritt, dass sie eine Abtreibung habe vornehmen lassen. Laut eigener Aussage wurde sie wegen innerer Blutungen behandelt. Es handele sich bei ihrem Fall um einen "politischen Prozess", sagte Raissouni.

Raissouni war am 31. August beim Verlassen einer Klinik in Rabat festgenommen worden. Ihre Anwälte plädierten während des Prozesses auf Freispruch. Raissounis Frauenarzt wurde zu zwei Jahren Haft, ihr sudanesischer Verlobter zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Ein Anästhesist bekam eine einjährige Bewährungsstrafe, ein Arzthelfer acht Monate auf Bewährung.

Raissouni arbeitet für eine arabischsprachige Zeitung, die bereits mehrfach mit den Behörden aneinandergeraten war. Die Journalistin hatte zuvor gesagt, sie sei von der Polizei über ihre Familie und ihre Arbeit ausgefragt worden. Zudem gab sie an, sie sei "ohne Zustimmung" zu einer medizinischen Untersuchung gezwungen worden.

"Dieser Prozess hat keine Grundlage, die Vorwürfe sind haltlos", sagte Raissounis Verteidiger nach dem Urteilsspruch. Verwandte von Raissouni erklärten, sie würden in Berufung gehen.

Der Fall hatte in Marokko eine Debatte über Persönlichkeitsrechte und die Pressefreiheit ausgelöst. Er fand auch weit über die Grenzen des Landes hinaus Beachtung: Die Organisation Reporter ohne Grenzen erklärte, die Behandlung von Raissouni sei eine "Einmischung in das Privatleben von Journalisten" mit der Absicht, sie zu verleumden.

In Marokko steht Sex außerhalb der Ehe unter Strafe. Verboten sind außerdem Abtreibungen, es sei denn, das Leben der Mutter ist in Gefahr. In dem nordafrikanischen Land finden Schätzungen zufolge täglich zwischen 600 und 800 illegale Abtreibungen statt. Im vergangenen Jahr wurden mehrere tausend Menschen wegen außerehelicher Beziehungen, 170 wegen Homosexualität und 73 wegen Schwangerschaftsabbrüchen verurteilt.

Erst vor einer Woche hatten sich hunderte Marokkanerinnen öffentlich zu Verstößen gegen das restriktive Abtreibungsgesetz ihres Landes bekannt. Sie hätten sich Schwangerschaftsabbrüchen unterzogen, diese vorgenommen oder an ihnen mitgewirkt, schrieben 490 Frauen in einem am Montag in marokkanischen Medien veröffentlichten Manifest. Zudem bekannten sie sich zu außerehelichem Sex. Der Aufruf wurde von der französisch-marokkanischen Schriftstellerin Leïla Slimani mitverfasst und richtet sich gegen die "ungerechten, veralteten" Gesetze des Maghreb-Staats.

"Die Kultur der Lügen und der sozialen Heuchelei erzeugt Gewalt, Willkür, Intoleranz", heißt es in dem Manifest. Die Gesetze seien zu "Werkzeugen für politische oder persönliche Rache" geworden. Die Filmemacherin Sonia Terrab, eine weitere Autorin der Erklärung, sagte, die Unterzeichnerinnen seien "Lehrerinnen, Bankerinnen, Hausfrauen, Studentinnen, Künstlerinnen und Intellektuelle". Hintergrund der ungewöhnlichen Initiative ist der Fall Hajar Raissouni. (AFP)