Ein historischer Irrtum? Vor 20 Jahren erschien Samuel Huntingtons Buch "Kampf der Kulturen"

Der Anschlag auf das World Trade Center in New York vor 15 Jahren, der Terrorangriff auf die Pariser Satire-Zeitschrift "Charlie Hebdo" - wann immer sich die westliche Welt islamistischem Terror ausgesetzt sieht, wird Samuel Huntingtons These vom "Kampf der Kulturen" als Interpretationshilfe herangezogen.

Fünf Jahre vor dem 11. September 2001, Anfang November 1996, erschien sein hellsichtiger Bestseller "Clash of Civilisation". Drei Jahre zuvor hatte der konservative Politologe in einem Aufsatz gleichen Titels seinem berühmten Kollegen Francis Fukujama eigentlich nur widersprechen wollen. Den späteren Buchtitel zierte da noch ein Fragezeichen.

Fukujama hatte nach dem Zerfall der Sowjetunion das Ende der Geschichte ausgerufen. Von nun an seien alle totalitären Systeme zum Scheitern verurteilt. Als Endstufe der Geschichte etabliere sich über kurz oder lang einzig die liberale Demokratie. Huntington bestritt diesen Geschichtsoptimismus und hielt dagegen: Die Weltkonflikte verlagerten sich nur von der wirtschaftlichen und ideologischen Sphäre auf die Kulturen, Konfessionen und Identitäten, prognostizierte er. Und unterteilte die Welt in sieben Zivilisationskreise: den chinesischen, japanischen, hinduistischen, afrikanischen und lateinamerikanischen, außerdem den westlichen und den islamischen.

Besonders scharfe Gegensätze sah Huntington zwischen der westlichen und der islamischen Kultur. "Die Grenzen des Islam sind blutig", stellte er fest. Da Muslime eine Trennung zwischen Religion und Politik nicht akzeptierten, seien Demokratie und Islam unvereinbar. Diese Grenzziehung erregte Aufruhr unter den Verfechtern eines humanitären Universalismus, die die Werte der Aufklärung als für alle Kulturen maßgeblich ansehen. Anhänger fand der Professor bei der "Neuen Rechten", die sich mit sozialdarwinistischen Theorien gegen die Werte Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit stellt.

Huntington geriet in den Ruf, der neue "Oswald Spengler" zu sein. Spengler hatte 1933 mit seinem Buch "Der Untergang des Abendlandes" die Welt im "Klassen- und Rassenkampf" versinken und "den Kampf der Weißen gegen die Farbigen" heraufziehen gesehen. Auch Huntington schrieb, im Kampf der Kulturen müssten Europa und Amerika entweder vereint marschieren oder gemeinsam untergehen. Spenglers Apokalypse-Denken teilte er jedoch nicht. Ihm war eher an der inneren moralischen Erstarkung der USA gelegen.

Seine These vom Kampf der Kulturen floss in die Militärdoktrin der US-Regierung unter George W. Bush ein. Der damalige Verteidigungsminister Donald Rumsfeld begründete den zweiten Irakkrieg auch mit seiner These. Huntington selbst allerdings sprach sich gegen den Waffengang aus.

Kritiker hielten dem US-Wissenschaftler vor, Feindbilder zu schüren sowie neues Blockdenken und Abgrenzung zu fordern. Der Professor verkenne die großen Unterschiede innerhalb der Kulturen, aber auch funktionierenden Austausch und Zusammenarbeit über die kulturellen Grenzen hinweg. Die Welt sei stark vernetzt, und man könne keinesfalls solch scharfe Trennlinien unterstellen.

Der Schweizer Theologe Hans Küng, Gründer der "Stiftung Weltethos" und engagiert im Dialog der Religionen, gestand einerseits zu, dass Huntington Tiefenströmungen der internationalen Entwicklung erkannt habe. Andererseits verwies er etwa darauf, dass der Westen den bosnischen Muslimen geholfen habe, die im Balkankrieg von den christlichen Serben angegriffen wurden. Zudem verliefen die gefährlichsten Konfliktlinien innerhalb des Islam zwischen Sunniten und Schiiten. Andere Kritiker verweisen darauf, dass sich der islamische Terrorismus zwar auf die Religion beruft; dennoch seien weiterhin wirtschaftliche und soziale Verwerfungen Ursache der Gewalt.

Fest steht dennoch: Mit seinem Topos vom Kampf der Kulturen hat Huntington eine neue politische Kategorisierung geschaffen, die auch in aktuellen politischen Forderungen ihren Niederschlag findet. So will die CSU in ihrer neuen Flüchtlingsagenda festschreiben, dass Flüchtlinge aus dem "christlich-abendländischen Kulturkreis" bevorzugt einreisen dürfen. (KNA)

Lesen Sie hierzu auch den Essay "Kampf der Kulturen": Wo Huntington irrte