Ein gespaltenes Land: Pakistan, der Terror und die Bombe von Lahore

Die Park-Bombe von Lahore traf Pakistan umso härter, als viele gehofft hatten, dass es endlich ruhiger werde im Land. Aber nun weiß keiner mehr: Wo steht Pakistan? Geht es dem Extremismus an den Kragen, wie die Regierung sagt? Wächst er wieder? War er nie weg? Von Christine-Felice Röhrs

Lahore steht still an diesem Montag. Eine Stadt unter Schock. Wenig Verkehr auf den Straßen, die Schulen geschlossen, viele Geschäfte bleiben zu. Ein junger Mann war am Vorabend in einen zentral gelegenen Park gegangen und hatte nahe einem Spielplatz 20 Kilo Sprengstoff zur Detonation gebracht. 72 Menschen hat der Täter am Ostersonntagabend in Lahore mit sich in den Tod gerissen, darunter 35 Kinder. Mindestens. Viele liegen noch in den Krankenhäusern.

Bewegung ist am Montag nur dort, wo es sein muss - und auch hier aus Verzweiflung geboren. Kinder werden beerdigt, und verzweifelte Mütter beugen sich weinend über kleine Särge. Der Ministerpräsident besucht Kliniken und beschwört die Einigkeit des Landes. Der Armeechef befehligt Soldaten zu fünf Operationen in der zuletzt eher ruhigen Provinz und gibt Meldungen heraus von «riesigen Waffenlagern», die gefunden wurden und «Verhaftungen von Terroristen». 

Die Park-Bombe von Lahore zählt zu den tödlichsten Anschlägen in Pakistan. Im Dezember 2014 hatten pakistanische Taliban in einer Schule in Peshawar 136 Kinder ermordet. Danach hatte die Regierung massive Militäroperationen vor allem gegen Taliban-Gruppen begonnen. «Wir brechen dem Extremismus das Rückgrat», sagten der Armeechef Raheel Sharif und Ministerpräsident Nawaz Sharif immer wieder.

Und eine Zeitlang sah es auch danach aus. Um fast 50 Prozent reduzierte Anschlags- und Opferzahlen wurden Anfang des Jahres präsentiert, als habe es Jahre der Radikalisierung nie gegeben. Rana Sanaullah, der Justizminister der Provinz Punjab, wo die Park-Bombe hochging, sagte noch im August: «Nicht eine einzige Religionsschule (in Punjab) hat irgendwelche Beziehungen zu Extremisten.»

Nun sieht es so aus, als ob der Täter in Süd-Punjab in einer Religionsschule als Lehrer gearbeitet hat und dort von einer Taliban-Gruppe für einen Selbstmordanschlag rekrutiert wurde. Wo steht also Pakistan nach der Park-Bombe? Ist es ein Land, aus dem der Terrorismus verschwindet? In das der Terrorismus zurückkehrt? In dem er nie fort war?

Der pakistanische Sicherheitsanalyst Mahmood Shah fasst es so zusammen: Generell habe sich die Sicherheitslage verbessert. Der Anschlag von Lahore zeige nicht, dass die Extremisten sich wieder formierten, nachdem die Militäroperationen viel von ihrer Infrastruktur zerstört hatten. Ein derart «weiches Ziel» anzugreifen, erfordere keine taktische Stärke. Aber trotzdem werde es noch lange dauern, bis der Extremismus besiegt sei. Denn er existiere nicht nur in den Verstecken der Militanten in den Bergen, sondern auch in den Städten, in den Köpfen der Sympathisanten. In den Köpfen potenzieller Rekruten. Und dieses Problem könnten die Streitkräfte nicht lösen - da müsse die Regierung ran.

Ministerpräsident Nawaz Sharif hat das noch in der Nacht versucht. Er rief dazu auf, die Differenzen in der Gesellschaft zu begraben, um dem Terrorismus gemeinsam und stärker entgegenzutreten. Aber wie schwer das ist, wie tief gespalten das Land ist und wie groß die Gruppe der Sympathisanten des Extremismus, zeigen andere brutale Bilder aus einer anderen Stadt, aber vom gleichen Tag.

In der Hauptstadt Islamabad hatten nur Stunden vor dem Anschlag in Lahore Tausende religiöser, gewaltbereiter Demonstranten die Stadt lahmgelegt. Die Polizei musste Tränengas einsetzen. Es war ein Mörder, den sie feierten und gegen dessen Hinrichtung vor einem Monat sie protestierten.

Mumtaz Qadri hatte 2011 den liberalen Gouverneur der Provinz Punjab ermordet. Salman Taseer hatte die strengen und oft missbrauchten Blasphemiegesetzes des Landes kritisiert. Muss wirklich sterben, wer den Propheten beleidigt, fragt er? Das an sich sei Blasphemie und Grund genug, ihn zu töten, befand sein Mörder. Aber dann habe der Gouverneur auch noch eine Christin, Asia Bibi, verteidigt, die wegen Gotteslästerung zum Tod verurteilt worden war, sagte Qadri vor Gericht. Wie einen Helden hatten Hunderttausende Pakistanern den Mörder für seine Tat gefeiert.

Die Christin Asia Bibi sitzt immer noch in der Todeszelle. Stunden bevor ein Islamist mehr Christen, mehr Muslime in Lahore mit einer Bombe ermordet, verlangten die Demonstranten in Islamabad ihren Tod. (dpa)