Drohende Hungersnot im Jemen: Landen die Huthis auf der Terrorliste?

Als außenpolitischen Schlussakt im Nahen Osten erwägt US-Präsident Trump, die Huthi-Rebellen im Jemen auf die Terrorliste zu setzen. Humanitäre Helfer schlagen Alarm. Das Land könnte von einer ohnehin schweren Krise in die größte Hungersnot seit Jahrzehnten abrutschen. Von Johannes Schmitt-Tegge, dpa



Sanaa. An manchen Tagen lassen Mohammed Mugni und seine Frau die Mahlzeiten ganz weg, um wenigstens die Miete und die Schulgebühren ihrer Kinder bezahlen zu können. Frühstück und Abendessen bestehen für das Paar aus dem Nordjemen dann aus Tee und Keksen, erzählt Mugni der Nachrichtenseite New Humanitarian. Teure Lebensmittel wie Obst, Käse und Fisch hätten sie ganz gestrichen. Und Fleisch? «Ein rares Gut, von dem wir nur träumen können», sagt Mugni.



Im Jemen auf der Arabischen Halbinsel hat sich das zusammengebraut, was Beobachter als «perfekten Sturm» beschreiben: Ein bewaffneter Konflikt mit inzwischen 128 000 Kriegstoten sowie 131 000 weiteren Opfern, die wegen eines Mangels an Lebensmitteln oder der schlechten Gesundheitsversorgung starben. Drei Viertel der Bevölkerung leben nach Schätzungen der Weltbank in Armut. Dazu kommen eine kollabierte Wirtschaft, Cholera, knappes Trinkwasser, Überschwemmungen und eine drohende Hungersnot - von der Corona-Pandemie mal ganz abgesehen.



Ausgerechnet diesen bettelarmen Staat könnte Donald Trump in seinen letzten Wochen als US-Präsident zum Spielball seiner Außenpolitik machen. Trump plane, die jemenitischen Huthi-Rebellen vor dem Ende seiner Amtszeit am 20. Januar als Terrororganisation einzustufen, schreibt das Magazin «Foreign Policy» unter Berufung auf Diplomaten.

Solch ein Schritt gegen die mächtige schiitische Miliz ist seit Monaten im Gespräch. Nun könnte er Trumps Zunder werden in einer «Politik der verbrannten Erde», zitiert das Magazin einen Diplomaten.



Die Vereinten Nationen und humanitäre Helfer schlagen Alarm. Denn die «Unterstützer Gottes» (Ansar Allah), wie die Huthis sich offiziell nennen, beherrschen weite Teile des Landes und haben im Nordjemen faktisch einen Staat im Staat errichtet. 70 bis 80 Prozent der Bewohner des Jemens leben in von den Huthis kontrollierten Gegenden. Sollten die Huthis auf der US-Terrorliste landen, würde die Arbeit von Organisationen wie dem Welternährungsprogramm, Care, Oxfam oder dem UN-Flüchtlingshilfswerk dort schwierig bis unmöglich.



«Ich könnte für schlichte humanitäre Hilfe kriminalisiert oder strafrechtlich verfolgt werden», sagt Sultana Begum, die für die Norwegischen Flüchtlingshilfe (NRC) in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa arbeitet, der Deutschen Presse-Agentur. «Humanitäre Arbeit im Jemen könnte faktisch illegal werden.» NRC und andere Organisationen müssen mit den Huthis verhandeln, um etwa Lebensmittel, Wasser oder Medizin ins Land bringen und um sich dort sicher bewegen zu können.



Auch der Strom von Geld, Benzin und Nahrung aus dem Ausland – der Jemen importiert 90 Prozent seiner Lebensmittel - könnte versiegen und die Hungersnot näherrücken lassen. Händler, Banken, Lieferanten und Versicherungen könnten ihre Geschäfte aus Sorge vor US-Sanktionen einstellen. Auch die für viele überlebenswichtigen Überweisungen von

Verwandten, die als Arbeitsmigranten etwa in Saudi-Arabien leben, würden gekappt. Andere Staaten könnten ihre Hilfszahlungen ebenfalls aussetzen. Von den benötigten 3,4 Milliarden Dollar für humanitäre Hilfen im Jahr 2020 fehlt immer noch mehr als die Hälfte.



Trump könnte all das wenig kümmern. Die USA sehen die Huthi-Rebellen als Handlanger des Irans, der mit einer Politik des «maximalen Drucks» in die Schranken gewiesen werden muss. Der Griff zur Terrorliste könnte ihn in seinen letzten Amtswochen als stark und entschlossen wirken lassen im Kampf gegen Teheran und dessen Verbündete. Und es wäre eine Art Abschiedsgeschenk an Saudi-Arabien, das den Iran als Erzfeind betrachtet und das im Jemen gegen die Huthis kämpft. Diese hatten ihre Angriffe auf Saudi-Arabien zuletzt wieder verstärkt.



Sicher könnte die Terror-Einstufung helfen, das Vermögen der Huthis einzufrieren und einige der Einnahmequellen für ihren brutalen Krieg auszutrocknen. Der Krieg würde dadurch aber nur verlängert, schreiben die Analysten der International Crisis Group. In äußerst zähen Verhandlungen hat der UN-Sonderbeauftragte Martin Griffiths über Monate versucht, Vertrauen zwischen der Regierung und den Rebellen aufzubauen. Mit der Ankündigung aus Washington wäre es rasch wieder verpufft. Vergeltungsschläge der Huthis wären so gut wie sicher.



Humanitäre Helfer bereiten sich schon auf den Ernstfall vor. Die UN ließen Berichten zufolge einige US-amerikanische Mitarbeiter aus dem Jemen evakuieren, um sie vor den Huthis zu schützen. NRC und andere Organisationen hoffen auf eine Ausnahmegenehmigung der US-Regierung, sollten die Huthis auf der Terrorliste landen. Aber die Beantragung dieser «General License» könnte sich über Monate hinziehen. Die Stimmung erinnert an Somalia im Jahr 2008, als die USA die Miliz Al-Shabaab als Terrororganisation einstuften. Von einer Zeit der «Verwirrung und Angst» erzählt NRC-Mitarbeiterin Begum.



Aus Sorge vor US-Sanktionen hätten Hilfsorganisationen damals von bestimmten Gebern kein Geld mehr angenommen und sich «selbst zensiert». Die humanitäre Hilfe erlitt einen Rückschlag. Bald darauf kamen bei einer Hungersnot im Land zwischen 2010 und 2012 mehr als 250 000 Menschen ums Leben. Eine solche Katastrophe von möglicherweise noch viel schlimmerem Ausmaß könnte auch dem Jemen drohen, warnte UN-Generalsekretär António Guterres zuletzt. Dafür gäbe es «in der jüngeren Geschichte vermutlich kein Beispiel außer Äthiopien», wo 1984 schätzungsweise mehr als eine Million Menschen verhungerten. (dpa)