Großes Aufgebot, wenig Zeit

Trotz der anhaltend schwierigen politischen Situation fand am 11. und 12. Februar ein berauschendes, leider viel zu kurzes Literaturfestival in der größten pakistanischen Metropole statt. Eindrücke aus Karatschi von Stefan Weidner

Von Stefan Weidner

Literaturfestivals sind populär – in Deutschland, in Europa, auf der ganzen Welt. Und es kommt vor, dass wir dieselben Autoren innerhalb weniger Wochen in Berlin und in Jaipur, in Erbil im Nordirak, Asila in Marokko und in Medellin in Kolumbien sehen - einer Stadt, die nicht nur für den Drogenhandel bekannt ist, sondern auch für ihr großartiges Literaturfestival.

Freilich, oft erscheinen diese Festivals wie Raumschiffe, die in einer beliebigen Umgebung landen und ihre Fracht an Autoren, Büchern und internationaler Kultur auf die verdutzten Ureinwohner abladen, wenn diese sich denn für das exotische Geschehen interessieren. Wenn aber ein solches Raumschiff in Medellin landen kann, warum dann nicht auch in Karatschi?

Viele einheimische Fans

Blick ins Publikum auf der Buchmesse Karatschi; Foto: Stefan Weidner
Hochkarätige Besetzung für ein interessiertes Publikum: das Dritte Karatschi-Literaturfestival mit seinen großen, internationalen sowie jungen und weniger bekannten Stimmen war ein berauschendes Event, schreibt Stefan Weidner.

​​Im Februar 2011 ist es sogar zum dritten Mal dort gelandet und es hat mittlerweile sehr viele einheimische Fans und ein großes, sehr interessiertes, sehr gebildetes Publikum – so interessiert und so gebildet, dass der ein oder andere für einen kurzen Moment geglaubt haben könnte, das Publikum sei ebenfalls mit eingeflogen worden.

Veranstaltet vom British Council, aber auch mit Hilfe des Goethe-Instituts, der amerikanischen Botschaft und anderer Institutionen landete das Literatur-Festival am ruhigen Stadtrand von Karachi, dem Nobel Viertel „Defense“, im Carlton Hotel, mit Blick auf das Wasser und beschützt von schwer bewaffneten Sicherheitskräften.

Aber so abgeschottet es schien, jeder durfte zuschauen, und Eintrittsgelder wurden auch nicht erhoben. Man mußte nur mitbekommen, dass das Festival überhaupt stattfand und genügend Englisch können, um die Veranstaltungen zu verfolgen – nur selten wurde auf den Podien Urdu gesprochen.

Die Besetzung war hochkarätig und die großen, internationalen Stimmen der pakistanisch-englischen Literatur waren angereist, von Hanif Kureishi über Mohsen Hamid und Mohammed Hanif bis zu Kamila Shamsie. Aber viele jüngere und weniger bekannte Namen waren auf dem Festival zu entdecken, zum Beispiel die jungen Autorinnen Maniza Naqvi oder Bina Shah.

International und anglophon

Die indische Autorin Shobhaa De; Foto: Stefan Weidner
Bestsellerautorin Shobhaa De war aus Indien angereist: Mit ihrem Plädoyer für den emanzipatorischen Ansatz ihrer "Chick lit" begeisterte sie vor allem die jüngeren Zuhörerinnen.

​​Gleichwohl war das Festival ausgesprochen international. Aus Indien war die Bestsellerautorin Shobhaa De angereist und verteidigte vehement die emanzipatorische Bedeutung der sogenannten Chick Lit – der Literatur von Mädchen für Mädchen. Das vorwiegend junge, weibliche Publikum gab ihr natürlich recht, während einer der wenigen älteren Herren im Publikum darauf hinwies, dass die englischsprachigen Leser ohnedies schon emanzipiert seien und es Schriftstellerinnen auf Urdu gebe und gegeben habe, die viel mehr zur Emanzipation der Frauen beigetragen und dabei viel mehr Mut bewiesen hätten.

Ebenfalls aus Indien reiste der Engländer William Dalrymple an, der seit langem in Delhi lebt und dessen Reiseberichte und gut lesbare historische Bücher über die islamisch-indische Vergangenheit auch in Pakistan begeisterte Leser finden.

Die wenigen europäischen Teilnehmer wirkten dagegen wie richtige Exoten, auch wenn sie, wie Navid Kermani und Jürgen Frembgen aus Deutschland oder Robin Yassin-Kassab aus Großbritannien Bücher vorstellten, die mit der islamischen Welt zu tun hatten und durchaus zum Festival passten. Was dagegen fehlte, war die ganz „normale“ Literatur anderer Sprachräume, die Erzählungen und Gedichte, die von einer fremden Welt berichten – einer fremden Welt aus pakistanisch-islamischer Sicht!

Forum für Diskussionen

William Dalrymple, schottischer Schriftsteller, Historiker und Kunstkritiker; Foto: Weidner
Reiseschriftsteller, Historiker, Kunstkritiker und Auslandskorrespondent: William Dalrymple begeistert mit seinen historischen Büchern über die islamisch-indische Vergangenheit besonders das pakistanische Publikum

​​Vielleicht war das wichtigste auf dem Festival aber ohnedies nicht die Literatur als Literatur, sondern die Diskussionsveranstaltungen, die oft sehr politisch waren, zum Beispiel über den Abspaltungskrieg zwischen Pakistan und Bangladesh oder die Diskussion über den gefährdeten Status der religiösen und ethnischen Minderheit in Pakistan. Am großen Interesse des Publikums war ablesbar, dass es leider nur noch wenige öffentliche Veranstaltung in diesem Land gibt, wo solche Fragen offen diskutiert werden können.

Umso bedauerlicher war, dass das Festival nur zwei Tage lang dauerte und die Teilnehmer so zahlreich waren, dass man kaum Zeit und Gelegenheit fand, sich jenseits der zahlreichen Podien (es fanden jeweils vier Veranstaltungen parallel statt) zu treffen und zu unterhalten.

Nicht nur das Publikum, auch die Autoren hätten einfach mehr Zeit gebraucht, um einander kennenzulernen. Hoffen wir, dass die Veranstalter, die eine großartige Arbeit geleistet haben, diesen kleinen Verbesserungswunsch beim vierten Festival im nächsten Jahr berücksichtigen werden!

Stefan Weidner

© Qantara.de 2012

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de