Theater der Hoffnung

Sie wollen ihre Gesellschaft von der Bühne aus beleben: Drei Schüler der einzigen Schauspiel-Akademie in der Westbank erzählen von ihrer Leidenschaft und vom Kampf gegen Vorurteile. Von Ulrike Schleicher

Von Ulrike Schleicher

Als die Palästinenserin Malak Abu Gharbia zwölf Jahre alt war, traf sie den berühmten, syrischen Komödianten Doraid Lahham nach einer Theateraufführung. "Er fragte, ob ich einmal Schauspielerin werden will", erinnert sich die 20-Jährige. "Ich brachte kein Wort über die Lippen."

Seit dieser Begegnung wurden Film und Theater zu einem Teil ihres Lebens. Alles, was damit zu tun hatte, sog sie auf wie ein Schwamm. Sie las Theaterstücke - leise und laut - und besuchte, wann immer möglich, auch Aufführungen.

Liebe zum Theater

Al-Kasaba in Ramallah: Theater, Kino und Schaupiel-Akademie; Foto: Ulrike Schleicher
Kulturelles Zentrum der Westbank: Al-Kasaba in Ramallah ist Theater, Kino und Schaupiel-Akademie in einem.

​​Seit knapp einem Jahr kann Malak ihre Leidenschaft leben: Sie studiert an der Theater-Akademie in Ramallah (Westbank) Schauspiel. Die Julia in Shakespeares "Romeo und Julia" ist eine der ersten Rollen, die sie einstudierte. Fünf Tage die Woche lernt die in Jerusalem geborene, junge Frau verschiedene Spieltechniken wie Improvisation sowie Singen, Fechten, Pantomime und Maskenspiel, sie trainiert ihre Stimme und übt Rollen.

Obwohl die Akademie die einzige und erste Schauspielschule in der Westbank ist, unterscheidet sich die Ausbildung dort nicht von anderen in Europa.

Die Akademie wurde 2009 mithilfe der Folkwang Universität der Künste in Essen gegründet. Die Lehrer beraten das Team in Ramallah beim Aufbau einer künftigen staatlich anerkannten Hochschule.

Gegenseitige Gastspiele gehören zum Konzept. Bislang kommt auch der Löwenanteil des Geldes aus Deutschland, die Autonomiebehörde in Ramallah will sich demnächst aber beteiligen. Die Akademie trage zum Erhalt der Geschichte, des Erbes und der Kultur der Palästinenser bei, hatte Premier Salam Fayyad zur Eröffnung 2009 erklärt.

Wenig Akzeptanz für das Theater

Doch bei aller Euphorie – den Initiatoren ist bewusst, dass der Großteil der Arbeit noch vor ihnen liegt. So fehlt es außer an der Infrastruktur auch schlicht an Akzeptanz in der Westbank. "In arabischen Ländern ist Theaterkultur nicht sehr ausgeprägt", sagt George Ibrahim, Leiter der Schule, Schauspieler und Intendant des Al-Kasaba-Theaters in Ramallah. Deshalb gebe es wenige zeitgemäße Stücke. In der besonderen Situation der Westbank käme hinzu, dass die Menschen erst einmal wieder verstehen müssten, wie wichtig Kultur für ihre Gesellschaft ist.

Diese Erfahrung hat auch Malak gemacht: "Ich traf nur auf Intoleranz." In ihrem kleinen Heimatdorf Al-Ama, das vom Sperrzaun der Israelis umgeben ist, fragten die Nachbarn, ob sie nichts Besseres zu tun habe, als einen Beruf ohne Sinn und Zukunft zu lernen. Ohne die Unterstützung ihrer Familie wäre Malak nicht Schauspielschülern geworden. Als Frau schon gar nicht, denn: "Frauen brauchen die Genehmigung der Familie", sagt Petra Bargouthi, Lehrerin für Bewegung an der Akademie.

Gefühle durch Schauspiel ausdrücken

Aber selbst die Erlaubnis ist keine Garantie. Oft nehmen Väter ihre Töchter wieder aus der Schule heraus. Zu sehr widerspricht der Alltag dort ihrem religiösen Verständnis: "Rauchen etwa und Kontakt zu Männern, das geht nicht", sagt Petra Barghouthi. Malak will sich mit dem traditionell geprägten Frauenbild jedoch nicht abfinden: "Wir müssen das ändern."

Muayad Owda, einer der ersten sechs Absolventen, die im vergangenen Jahr ihr Studium an der Akademie abgeschlossen haben; Foto: Schauspiel-Akademie
Von der Realität eingeholt: Muayad Owda, einer der ersten sechs Absolventen, die im vergangenen Jahr ihr Studium an der Akademie abgeschlossen haben, muss um seine beruflichen Chancen als junger Schauspieler kämpfen.

​​Auch Ramzey Hasan will die Gesellschaft durch das Theater aufwecken. Der 29-Jährige ist im dritten Jahr seiner Ausbildung und hatte bereits Psychologie studiert, bevor er an die Akademie ging. "Die Menschen hier müssen begreifen, wie sehr ihr Leben mit Kultur verbunden ist."

Noch immer seien sie mit der Aufarbeitung der letzten Intifada beschäftigt, mit dem Schmerz, der damit verbunden sei. "Theater kann helfen, damit besser klarzukommen." Er selbst habe erfahren, wie gut man seine Gefühle und Gedanken durch Schauspiel ausdrücken könne, und habe "viel über sich selbst gelernt".

Ungesicherte Zukunft

Wie sehr die Besatzung der Israelis und der damit verbundene schwierige Alltag die Spielweise der insgesamt 21 Schauspielschüler beeinflusst, weiß Petra Bargouthi genau. "Bei den Proben kommen oft tief liegende Emotionen hoch", sagt die 38-Jährige. Das Schlüpfen in andere Rollen ermögliche es den jungen Menschen meist zum ersten Mal, sich von ihren Traumata und Zwängen zu befreien. Doch nach wie vor sind solche Erfahrungen selten in der Westbank.

Meistens werden die jungen Schauspieler schnell von der Realität eingeholt. Das erfährt auch Muayad Owda zurzeit. Er ist einer der ersten sechs Akademie-Absolventen vom vergangenen Jahr. Der 25-Jährige hat zwar ein Engagement bei einem Straßentheater, das in der ganzen Westbank spielt, aber der Lohn ist gering. "Ich muss nebenher arbeiten." Dass es nicht einfach wird, als Schauspieler zu leben, damit hat Muayed schon gerechnet. "Der Markt hier ist einfach zu klein."

Am liebsten würde der junge Mann aus Kalkilya ins Ausland gehen. "Bis hier was geht, bin ich 80 Jahre alt." Für Malak hingegen kommt Weggehen nicht infrage. Die Schule sei ein erster Schritt, Theater hier zu etablieren, sagt die junge Frau. Mit dem Theater ist für sie auch die Hoffnung verbunden, die Gesellschaft zu beleben: "Und wenn nicht wir davon profitieren, dann eben die Generation nach uns."

Ulrike Schleicher

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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de