Dokufilm «Die Kinder des Kalifats»: Syrischer Regisseur hat Oscar-Chancen

Regisseur Talal Derki stammt aus Syrien und lebt mittlerweile in Deutschland. Mit seinem Dokumentarfilm über Kinder unter Islamisten hofft er auf den wichtigsten Filmpreis der Welt. Von Barbara Munker und Julia Kilian

Wenn am Sonntag die Oscars vergeben werden, hat auch ein Mann aus Berlin Chancen. Der syrische Regisseur Talal Derki (41) ist für seinen Dokumentarfilm «Of Fathers and Sons» nominiert - als einer von fünf Kandidaten. «Das ist der einzige Film, der nicht aus den USA kommt», sagte Derki der dpa in Berlin, ehe er zur Oscar-Verleihung nach Los Angeles aufbrach. Wenn er nicht gerade unterwegs ist, lebt der Filmemacher in der deutschen Hauptstadt.

Sein Film zeigt eine Familie zwischen Staub und Ruinen. Der Vater ein radikaler Islamist, manche seiner Söhne auf dem Weg dorthin. In einer der ersten Szenen erzählen die Jungen, wie sie einen Vogel gefangen haben. Sie hätten ihm den Kopf runtergedrückt und abgetrennt, sagt einer von ihnen. «Wie Du es mit dem Mann gemacht hast, Papa.»

Solche Szenen wirken fast unwirklich. Derki hat dafür nach eigenen Angaben viele Monate bei der Familie in Syrien gelebt und sich als Sympathisant ausgegeben. Diese Menschen akzeptierten einen nur, wenn man wie sie denke, erzählt er. «Also fing ich an, diese Rolle zu spielen.» Er habe sich als jemand ausgegeben, der den «richtigen Islam» lernen und darüber einen Film drehen wolle.

Mit «Return to Homs» hat Derki schon mal einen Film über seine Heimat gemacht. Das Sundance Filmfestival zeichnete das Projekt 2014 aus, auch sein neuer Film gewann dort im vergangenen Jahr einen Dokumentarfilmpreis. «Of Fathers and Sons - Die Kinder des Kalifats» soll am 21. März in die deutschen Kinos kommen.

Zur Oscar-Verleihung ist Derki mit seinem Berliner Team angereist. Es ist ein Kontrastprogramm in Los Angeles, mit Empfängen und Filmscreenings, nach seinen Trips in das Krisengebiet. «Wir mussten ihm vertrauen, dass er entscheidet, wenn es für ihn dort zu gefährlich wird», erzählt Produzentin Eva Kemme von der Firma Basis Berlin.

«Talal versteht sich mit seiner Kamera ein bisschen auch als Kämpfer, aber er würde nie eine Waffe in die Hand nehmen», erklärte ihr Kollege Tobias Siebert. Er habe viele Menschen erlebt, die von Dschihadisten beeinflusst worden seien, sagte Derki. Das habe ihn mit vielen Fragen zurückgelassen. Er habe mit seinem Film den Kreislauf der Gewalt zeigen wollen. «Wie wird ein Terrorist ein Terrorist?»

Im Film sieht man Vater und Söhne, aber keine Frauen. Die Kinder spielen in einem Becken und lassen Tüten in die Luft steigen. Man sieht aber auch, wie sie in einem Lager trainieren. In einer Szene kommt der Vater verletzt nach Hause, nachdem er eine Mine entschärfen wollte. Mittlerweile sei er nicht mehr als Leben, schildert Derki.

Der «Hollywood Reporter» spricht von einer «bewundernswert kühnen Leistung». Der Film zeigt Derki nah dran. Aus Sicht der «New York Times» manchmal schon etwas zu nah. In einer Szene etwa feuert der Vater einen Schuss ab. Wen er genau trifft, erfährt man nicht. Hat Derki nicht viel Angst gehabt während der Dreharbeiten? Und hat es sich wie Betrug angefühlt, der Familie etwas vorzumachen?

«Nein, das ist der einzige Weg, um zu zeigen, was dort passiert, wie sie die Leute beeinflussen», sagte Derki. Es sei ein Kampf gegen Ideologien, nicht gegen Gruppen. Statt Waffen zu schicken und die Diktatur zu stützen, müsse man das Bildungssystem ändern und Frauenrechte stärken. Das Tattoo am Arm habe er sich nach dem Dreh stechen lassen, was unter streng gläubigen Menschen dort als verboten gelte. Damit könne er nun auch nicht zurückkehren in die Region.

Neben Derkis deutsch-syrisch-libanesischer Produktion sind vier US-Dokumentationen im Oscar-Rennen, darunter «RBG» über die US-Richterin Ruth Bader Ginsburg, und der Kletterfilm «Free Solo». Welche Chancen rechnet sich der Regisseur aus? «Ich glaube, wer unseren Film gesehen hat, wird für uns stimmen», sagt Derki.  (dpa)