Diskriminiert und dauerbeleidigt? - Erdogan umwirbt die Deutschtürken

Die deutsch-türkischen Beziehungen sind seit dem Putschversuch vor einem Jahr im freien Fall. Zu den Leidtragenden gehören die Deutschtürken. Von den Deutschen als Integrationsverweigerer geschmäht, von Erdogan umgarnt, stehen sie zwischen allen Stühlen. Von Anne-Beatrice Clasmann

Seitdem so viele Rumänen nach Duisburg kämen, hätten die ortsansässigen Deutschen plötzlich gerne Türken als Nachbarn, sagt der Stand-up-Comedian Abdelkarim. Das Publikum in einem Berliner Kabarett-Theater - darunter auch einige Deutschtürken - springt auf den Gag des Deutschmarokkaners an. Jenseits der Satire bietet das deutsch-türkische Verhältnis im Moment aber wenig Anlass zum Lachen.

Das ist auch eine Folge des vereitelten Putsches vom 15. Juli 2016. Die Einwanderer aus der Türkei und ihre Nachfahren sind im Gegensatz zu ihren Verwandten in der alten Heimat zwar nicht unmittelbar von dem vergifteten politischen Klima betroffen, das seither in der Türkei herrscht.

Die Polarisierung ist aber auch hierzulande deutlich spürbar - zwischen religiösen und säkularen Türkeistämmigen, zwischen Türken und Kurden. Die sogenannte Mehrheitsgesellschaft zeigt zudem wenig Verständnis für die Begeisterung, mit der ein Teil der Deutschtürken «ihrem» Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zujubelt. In den Leserkommentaren deutscher Medien taucht häufig die Frage auf: «Warum gehen die Erdogan-Befürworter nicht in die Türkei zurück?»

Die deutsch-türkische Autorin Hülya Özkan versucht in ihrem Buch «In Erdogans Visier», das der Knaur-Verlag ein Jahr nach dem Putschversuch veröffentlicht, zu erklären, warum der türkische Präsident «die Deutschtürken radikalisieren will und was das für uns bedeutet». Sie stellt fest: «Die politische Einflussnahme Ankaras in Deutschland hat in letzter Zeit massiv zugenommen» - über die Türkisch-Islamische Union (Ditib) und mittels eines Netzwerks von in Deutschland aufgewachsenen, gut ausgebildeten Anhängern der türkischen Regierungspartei AKP.

Dass Erdogan einen Teil der Deutschtürken erfolgreich instrumentalisieren könne, sei auch dem nur halbherzigen Interesse deutscher Politiker an den Migranten geschuldet und den Pauschalurteilen über die angeblichen «Integrationsverweigerer».

Ernüchtert konstatiert sie: «Die Suche nach Respekt und Anerkennung wird vom türkischen Präsidenten bedient, nicht vom deutschen Präsidenten oder der deutschen Öffentlichkeit.» Dadurch würden manche Deutschtürken «regelrecht in die Arme von Erdogan getrieben». Özkan zählt die großen Krisen im deutsch-türkischen Verhältnis auf.

Der rassistische Terror Anfang der 90er-Jahre, als in Mölln und Solingen die Häuser türkischer Familien brennen. Im nächsten Jahrzehnt erschüttert die Mordserie des rechtsextremen NSU das Vertrauen der Migranten in den deutschen Rechtsstaat. 2010 dann der Bestseller «Deutschland schafft sich ab», in dem der frühere Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin schreibt: «Die Zuwanderer aus dem ehemaligen Jugoslawien, der Türkei und den arabischen Ländern bilden den Kern des Integrationsproblems.»

Auf Sarrazin, den selbst ernannten Deutschlandretter, folgt Erdogan, der sich als Retter der Ehre der türkischen Migranten geriert. Damit treibt er einen Keil zwischen die Kinder und Enkel der «Gastarbeiter» und diejenigen, die von manchen Zuwanderern «Biodeutsche» genannt werden.

Der Schriftsteller Feridun Zaimoglu hat 2010 in einem «Spiegel»-Interview zum Sarrazin-Buch dafür plädiert, Schulklassen mit einem Migrantenanteil von über 80 Prozent aufzulösen, weil sonst die Zukunft dieser Kinder «versaubeutelt» werde. Hülya Özkan kritisiert, dass es Milieus gebe, «in denen die Menschen für ihre Religion leben, die Rechte ihrer Frauen und Töchter missachten» und versuchten, ihre Kinder von den Einflüssen der Schulgemeinschaft fernzuhalten. Und Familien, in denen nur das türkische Fernsehprogramm laufe.

Während sich die Generation der «Gastarbeiter» in den ersten drei Jahrzehnten noch ohne Sprachkurs im bundesdeutschen Alltag behaupten musste, gibt es in Berlin heute sogar ein spezielles Branchenbuch, in dem man für praktisch alle Belange jemanden findet, der Türkisch spricht - vom Automechaniker bis zum Zahnarzt.

Das erklärt vielleicht auch, wie Ergebnisse aus der Integrationsforschung zusammenpassen, die auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen. Denn laut einer Untersuchung des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration vertreten zwar 59 Prozent der muslimischen Türkeistämmigen die Auffassung, Menschen ihrer Herkunft würden aus der deutschen Gesellschaft ausgeschlossen. Trotz dieser stark empfundenen Zurückweisung sagen fast drei Viertel der türkeistämmigen Zuwanderer, sie selbst fühlten sich in Deutschland als Teil der Gesellschaft. (dpa)