Die Türkei vor Wahlen: Erdogan sagt krankheitsbedingt weiteren Wahlkampfauftritt ab

Istanbul- Gut zwei Wochen vor den mit Spannung erwarteten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in der Türkei hat Staatschef Recep Tayyip Erdogan krankheitsbedingt einen weiteren wichtigen Wahlkampftermin absagen müssen. Der 69-Jährige konnte am Donnerstag nicht persönlich an der Einweihung des ersten Atomkraftwerks des Landes teilnehmen, ließ sich aber per Video zuschalten. Weltweit öffneten unterdessen die Wahllokale für im Ausland lebende Türken.



"Unser Land ist in die Liga der Nationen mit Atomkraft aufgestiegen, wenn auch mit 60-jähriger Verspätung", sagte Erdogan hinter seinem Schreibtisch im Präsidentenpalast in Ankara sitzend, wobei er sichtlich mitgenommen wirkte. Das Akkuyu-Atomkraftwerk an der Mittelmeerküste wurde vom staatlichen russischen Atomunternehmen Rosatom gebaut. Kreml-Chef Wladimir Putin war ebenfalls per Video zugeschaltet und lobte Erdogan, der viel für den Ausbau der türkisch-russischen Beziehungen getan habe. Der Akw-Bau sei dafür ein "überzeugendes Beispiel".



Am Mittwoch hatte Erdogan krankheitsbedingt mehrere Wahlkampftermine abgesagt. Gesundheitsminister Fahrettin Koca begründete Erdogans krankheitsbedingte Abwesenheit mit einer "infektiösen Gastroenteritis". Bereits am Dienstag hatte der türkische Staatschef ein Live-Interview im Fernsehen abbrechen müssen. Anschließend hatte er gesagt, er habe sich zu Beginn der Woche eine Magenverstimmung zugezogen.



Erdogan hat angesichts sinkender Umfragewerte in den vergangenen Wochen zahlreiche Wahlkampfauftritte absolviert. Umfragen sagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen bei der Wahl am 14. Mai mit dem Oppositionskandidaten Kemal Kilicdaroglu oder einen Sieg von Kilicdaroglu voraus. Familienministerin Derya Yanik sagte am Donnerstag im türkischen Fernsehen, Erdogan sei auf dem Wege der Besserung. "Es gibt keinen Grund zur Beunruhigung. Es geht ihm gut", versicherte sie. "Er wird sein intensives Programm morgen wieder aufnehmen, denke ich."



Chinesische Staatsmedien spekulierten derweil über Erdogans Zustand, der demnach sehr viel schlechter sein könnte als offiziell berichtet. Präsidentenberater und Mediendirektor Farhettin Altun wies die "gegenstandslosen Behauptungen" im Onlinedienst Twitter "kategorisch" zurück und schrieb mit Blick auf Berichte über einen Herzinfarkt bei Erdogan von "Desinformation".

In den türkischen Auslandsvertretungen in Deutschland und 72 weiteren Ländern weltweit öffneten unterdessen die Wahllokale, wie die Nachrichtenagentur Anadolu unter Verweis auf Zahlen der Wahlkommission YSK berichtete.



Insgesamt 3,4 Millionen im Ausland lebende Türken können demnach bis zum 9. Mai ihre Stimmen abgeben. Allein in Deutschland leben rund 1,5 Millionen stimmberechtigte Türken. Abgestimmt werden kann zudem bis zum Wahltag an den Grenzübergängen zur Türkei. Eine Briefwahl ist gemäß türkischem Recht nicht möglich.



Bei den letzten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in der Türkei 2018 machten rund 50 Prozent der Wahlberechtigten in Deutschland von ihrem Stimmrecht Gebrauch. Die Unterstützung für Erdogan war in Deutschland damals deutlich stärker als in der Türkei selbst.



Oppositionskandidat Kilicdaroglu sagte im Interview mit RTL/ntv, die in Deutschland lebenden Türken könnten "in einem freien Land leben, werden für ihre Arbeit fair bezahlt und können ihre Gedanken frei zum Ausdruck bringen". Er wünsche sich, dass sich auch in der Türkei "Menschen frei äußern und organisieren können". Sollte kein Kandidat im ersten Wahlgang mehr als 50 Prozent der Stimmen bekommen, kommt es am 28. Mai zu einer Stichwahl. (AFP)

 

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