Täuschungsversuch mit kleinen Freiheiten

Sie war eine der ersten syrischen Berühmtheiten, die gegen Assad auf die Straße gingen, jetzt ist sie im Pariser Exil: eine Begegnung mit der Schauspielerin und Aktivistin Fadwa Suleiman. Von Magdalena Ebertz

Von Magdalena Ebertz

Bevor sich Fadwa Suleiman im Café Le Sarah Bernhardt in Paris niederlässt, signalisiert sie mit eindeutigen Gesten, dass sie sich noch schnell Zigaretten besorgen will, und springt über die Ampelkreuzung am Place du Châtelet-les Halles.

Die vierzig Jahre alte syrische Schauspielerin, die seit knapp fünf Monaten im Pariser Exil ist, wirkt zunächst lebhaft, dann sehr nachdenklich und schließlich wütend. Sie fühle sich, sagt sie, als sei sie gerade eben aus dem Grab gestiegen: Das Leben im Exil vermittle ihr das Gefühl der absoluten Ohnmacht. Das Geschehen in ihrer Heimat aus der Ferne zu verfolgen macht sie unruhig.

Fadwa Suleiman ist ein bekanntes Gesicht der syrischen Revolution, denn sie gehörte zu den ersten syrischen Berühmtheiten, die gegen Assad auf die Straße gingen.

Die aus Aleppo stammende Schauspielerin organisierte schon Anfang 2011 vom Untergrund aus zahlreiche Demonstrationen, und das als Alawitin, als Mitglied derselben Minderheitsreligion, der auch der Präsident angehört. Der Geheimdienst wusste von ihren Aktivitäten, nahm Demonstranten fest und befragte sie nach ihren Verbindungen zu der "Unruhestifterin" Suleiman.

Rauchschawaden über der zentralsyrischen Stadt Homs; Foto: Reuters
Zerstörte Städte, entfesselte Gewalt: Bei dem Krieg Assads gegen die Rebellen der FSA und die eigene Zivilbevölkerung sollen bislang über 20.000 Menschen getötet worden sein. Amnesty International wirft den Truppen des Regimes systematischen Terror vor.

​​Videos ihrer Teilnahme an Demonstrationen in der Protesthochburg Homs waren schließlich auch bei Al Dschazira und anderen arabischen Fernsehsendern zu sehen. Die Bilder gingen um die Welt. "So wurde ich eine Gefahr für das Regime und das Regime eine für mich." Am 24. März dieses Jahres floh Fadwa Suleiman aus Syrien illegal über die libanesische Grenze. Genaueres verrät sie nicht, um andere Flüchtlinge nicht zu gefährden.

Nicht empfänglich für eine islamische Regierung

Im Pariser Exil ist es um ihre Person ruhiger geworden. Am Anfang ihrer Exilzeit rief sie auch auf Pariser Plätzen noch zu Protestaktionen auf. Doch heute lebt sie von der syrischen Exilgemeinschaft in Paris isoliert und geht ihre eigenen Wege. Von hier könne man nichts mehr bewegen, hier nehme man nur Anteil am Geschehen in Syrien, sagt sie.

Viel Zeit verbringt sie deshalb im Internet. Auf Facebook verbreitet sie Neuigkeiten über Syrien, zu ihren Freunden dort hat sie regelmäßig Kontakt, am besten funktioniere das über die Internettelefonie Skype. Aber oft muss sie tage- oder wochenlang warten, bis sie wieder Kontakt aufnehmen kann, weil die Internetverbindungen in Syrien nicht stabil sind. Mit ihrem Ehemann schreibt sie derzeit über die "vielen Wahrheiten", die sie in den zweieinhalb Monaten in Homs erlebt haben.

Auch über ihr Verhältnis zur Religion soll es in dem Buch gehen. Denn um bei einem Scheich, einem islamischen Religionsgelehrten, Unterschlupf zu bekommen, hatten sich die beiden vor einem Jahr für eine religiöse Eheschließung entschieden, obwohl Glaube für Fadwa Suleiman keine Bedeutung hat: "Glaube und Religion sind für mich immer ein Zeichen von Macht, auch politischer Macht."

Das syrische Volk, sagt sie, sei nicht empfänglich für eine islamische oder gar islamistische Regierung. "Sollte dies doch eintreten, kann das nur von außen, von Saudi-Arabien und Qatar, gesteuert sein."

Die Vereinnahmung der Kunst durch die Politik

Auch zur Politik hat Suleiman ein gespaltenes Verhältnis. Denn obwohl sie sich im Widerstand in Syrien engagiert hat, möchte sie sich nicht als politische Person verstanden wissen.

Protestaktion syrischer Aktivisten in Paris; Foto: privat
Flucht nach Frankreich: Am Anfang ihrer Exilzeit rief Fadwa Suleiman auch auf Pariser Plätzen noch zu Protestaktionen auf. Doch heute lebt sie von der syrischen Exilgemeinschaft in Paris isoliert und geht ihre eigenen Wege.

​​So sieht die überzeugte Pazifistin den Grund für die Eskalation des Konflikts zwar einerseits darin, dass die Vereinigten Staaten und ihre Partner bloß zuschauten, als das Assad-Regime die Proteste gewaltsam zu ersticken versuchte. Andererseits spricht sie sich heute aber auch entschieden gegen ein militärisches Eingreifen anderer Staaten aus.

Seit einigen Monaten setzt sie sich daher mit Gleichgesinnten aus Ägypten und Tunesien dafür ein, dass sich die westliche Welt, besonders die Vereinigten Staaten, aus den arabischen Staaten fernhält - nach dem Motto "Haltet euch raus, wir regeln unsere Sache selbst!"

Die Entwicklungen in Syrien und anderen arabischen Staaten spielen ihrer Meinung nach auch dem Staat Israel in die Karten, denn Israel wolle weiterhin von sich behaupten, das einzig demokratische Land in dieser Region zu sein. "Israel ist partout an einem Scheitern der arabischen Revolutionen interessiert."

Zahlreiche syrische Künstler setzen sich derzeit für die Rechte der Bürger und die stetig steigende Zahl von Verletzten und Flüchtlingen in Syrien und den umliegenden Ländern ein, dennoch berichtet Fadwa Suleiman auch darüber, wie sich die autoritären Regime Künstler und ihre Werke zu eigen machen. Es gibt auch Künstler, die "Produkte des Regimes" sind, denn freies und kritisches Denken solle unterbunden werden, sagt sie.

Selbst die Politik der kleinen Freiheiten (Siyasa at-tanfis), mit der es unter Hafiz al-Assad Künstlern erlaubt war, bis zu einer gewissen Grenze Land, Politik und Gesellschaft zu kritisieren, solange niemand beim Namen genannt wurde, ist ihnen in den vergangenen Jahren nach und nach genommen worden.

Baschar al-Assad ließ mit der Zulassung und Produktion einiger Fernsehsoaps und -serien, in denen freies Reden möglich schien, den Eindruck erwecken, Syrien sei auf dem Weg zur Meinungsfreiheit. In Wirklichkeit aber schnürte er die Tanfis-Politik immer mehr ab.

Magdalena Ebertz

© Frankfurter Allgemeine Zeitung 2012

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de