Die Corona-Krise als Chance für den Islam in Deutschland?

Bietet die Corona-Krise eine Chance für den Islam, um stärker in die Mehrheitsgesellschaft hineinzuwachsen und sich gegenüber dem Staat geschlossener zu präsentieren? Oder geht es ihm nur darum, Boden zu gewinnen?

Viele Moscheen haben seit vergangenem Wochenende ihre Türen für Gläubige wieder geöffnet. Die Muslime müssen Mundschutz tragen, Abstand halten und eigene Gebetsteppiche mitbringen. Das Gemeinschaftsgebet am Freitag ist somit für eine beschränkte Personenzahl vielerorts wieder möglich. Doch die stark besuchten Treffen zum abendlichen Fastenbrechen im Fastenmonat Ramadan, der am 23. Mai endet, bleiben in den Gemeinden weiterhin tabu.

Aus der Politik hört man Lob für die Islamverbände, die im März schon Tage vor dem offiziellen Gottesdienstverbot die Moscheen geschlossen hatten. Die Berliner Senatsverwaltung sprach am Montag gegenüber der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) von einem "wertvollen Beitrag der islamischen Community und ihrem konstruktiven Umgang mit den derzeitigen Herausforderungen". Die nordrhein-westfälische Landesregierung bescheinigte eine "allgemein geteilte Auffassung, dass Muslime und Nicht-Muslime bei der Bewältigung der Pandemie an einem Strang ziehen". Bis auf wenige Ausnahmen scheinen Moscheegemeinden bundesweit die Auflagen strikt beachtet zu haben. Anders als manche Kirchenvertreter hielten sich die muslimischen Wortführer zudem mit Forderungen nach baldigen Lockerungen zurück - trotz Ramadan.

Vom Bundesinnenministerium hieß es auf Anfrage, man stehe in diesen Fragen "zuvorderst" mit dem Koordinationsrat der Muslime in Deutschland (KRM) in "stetigem und intensiven Kontakt". Die Dachorganisation aus sechs Verbänden umfasst die meisten der bundesweit 2.800 Moscheen. Seit seiner Gründung 2007 trat der KRM selten als zentraler Gesprächspartner auf, auch nicht im Rahmen der Deutschen Islamkonferenz des Innenministeriums. Als einzige vereinsrechtlich übergreifende Institution existiert bisher das Islamische Kompetenzzentrum für Wohlfahrtswesen.

Ansonsten verhandeln Bund und Länder überwiegend mit den Einzelverbänden, etwa bei der Imamausbildung und dem Religionsunterricht. Die Pandemie dürfte daran trotz stärkerer Wahrnehmung des KRM in der Öffentlichkeit und einer verstärkten Abstimmung seiner Mitglieder bei Einzelthemen wie der Gefängnisseelsorge wenig ändern.

Zwei neue Vorstöße gab es aber in der Krise: Zum einen stellte der Dachverband bei den öffentlich-rechtlichen Sendern einen Antrag auf Gottesdienstübertragungen. Über eine Entscheidung ist nichts bekannt. Zum anderen bat der KRM beim Bundesinnenministerium um finanzielle Hilfen, weil vielen Gemeinden durch das Wegbrechen von Spenden der Ruin drohe. "Der KRM, islamische Verbände und muslimische Akteure wurden zu den bestehenden allgemeinen Hilfen und Unterstützungsinstrumenten informiert", hieß es dazu lediglich aus Berlin.

Trotzdem mangelt es nicht an Konfliktpotenzial zwischen Verbänden und dem Staat. Die türkisch-islamische Ditib, der bei weitem größte Moscheeverband, hat mit Skandalen gerade in der jüngeren Vergangenheit viel Vertrauen verspielt. Mitten in der Corona-Krise beendete das Land Hessen wegen fehlender Unabhängigkeit von der Erdogan-Regierung in Ankara die Zusammenarbeit. Auch gegenüber den KRM-Mitgliedern Islamrat und "Zentralrat der Muslime in Deutschland" besteht erhebliches Misstrauen bezüglich einer Steuerung aus dem Ausland und extremistischer Tendenzen.

Vor diesem Hintergrund stoßen die Muezzinrufe in deutschen Städten auf gemischte Reaktionen. Rund 40 Kommunen haben bisher den Gebetsruf coronabedingt erlaubt, den die Moscheeverbände als Zeichen für Trost und gesellschaftliche Solidarität verstanden wissen wollen. Allerdings wollen laut einer INSA-Umfrage 61 Prozent der Bevölkerung das arabische Bekenntnis, dass Allah der Größte und Mohammed sein Prophet ist, nicht hören. Etliche Kommunen haben den Ruf, der prinzipiell von der Religionsfreiheit gedeckt schon vor der Pandemie hier und da zu hören war, nicht gestattet. Von den Kirchen kommt dagegen viel Ermutigung für die Initiative, die offenbar eher zufällig ins Rollen kam.

Für die Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam, Susanne Schröter, steckt dahinter jedoch ein "durchdachter Schachzug" konservativer Islamfunktionäre, um weiter Boden in Deutschland zu gewinnen. "Es steht zu erwarten, dass sich die Gemeindevertreter gegen ein Zurück zum Vor-Corona-Status wehren werden", sagte sie der KNA.

In der Kölner Ditib-Zentrale zumindest klingt das anders. "Wir gehen auch nach der Krise zurückhaltend mit dem Gebetsruf um und bestehen nicht auf unserem Recht", erklärte ein Vorstandsmitglied telefonisch. Wo die Nachbarschaft den Muezzin akzeptiere, könnten Gemeinden eventuell auch künftig dabei bleiben. Aber nicht auf Biegen und Brechen. (KNA)