Mission Unmöglich

Zwar bemüht sich der neue internationale Syrien-Sondergesandte Lakhdar Brahimi vor Ort um ein Ende des Bürgerkriegs, doch bleibt zweifelhaft, ob seine Mission wirklich zum Erfolg führen kann. Erst kürzlich räumte er ein, dass er noch keinen Plan habe. Einzelheiten von Peter Steinbach aus Damaskus.

Vor der US-Botschaft in Damaskus gab es ein kleines Sit-In. Aber sonst ist die neuste filmische Persiflage über den Propheten Mohammed, die in anderen Ländern zu heftigen Protesten führte, kein großes Thema in Syrien. "Die Leute sind mit weit wichtigern Dingen beschäftigt", meint ein Hotelbesitzer in der syrischen Hauptstadt.

Seit 18 Monaten herrscht in dem arabischen Land Bürgerkrieg und in Damaskus ist er allgegenwärtig, obwohl in den meisten Stadtvierteln das Leben seinen gewohnten Gang geht. Dicke schwarze Rauchwolken treiben über die Stadt, nachts sind nonstop die Explosionen von Granaten zu hören. In den im Süden gelegnen Vororten bekämpfen Regimetruppen von Präsident Baschar al-Assad letzte Stellungen der Freien Syrischen Armee (FSA), nachdem sie Mitte Juni in Damaskus ihre Offensive gestartet haben.

Lakhdar Brahimi bei Baschar al-Assad; Foto: dpa/picture-alliance
Politischer Durchbruch nicht in Sicht: Nach seinem Treffen bei Syriens Präsident Assad am 15.9. erklärte der Syrien-Gesandte Brahimi, es sei kein Geheimnis, dass die Positionen der beiden Parteien weit auseinander lägen. Es seien aber Gemeinsamkeiten vorhanden, die eine Lösung der Krise möglich machen sollten.

​​Der ständige Granatenbeschuss wird auch Lakhdar Brahimi, dem neuen UN-Sondervermittler für Syrien, nicht entgangen sein. Er hat den Posten von Kofi Annan übernommen, der im August zurückgetreten war.

Friedensmission vor dem Aus?

"Eine Friedensmission ist unmöglich angesichts der zunehmenden Militarisierung und der fehlenden Einigkeit innerhalb der internationalen Staatengemeinschaft", hatte der ehemalige UN-Generalsekretär bei seinem Rücktritt damals erklärt.

Weder die syrische Regierung, noch die FSA hielten sich an eine Waffenruhe, die die Basis zur Umsetzung von Annans Friedensplan gewesen wäre. Zudem unterstützen die Türkei, Saudi-Arabien und Qatar die Rebellen weiterhin finanziell oder militärisch. Iran, Russland und China standen fest an der Seite Syriens.

"Ich habe keinen Plan", versicherte Brahimi mehrfach in Damaskus. Im Gegensatz zu Annan werde der algerische Diplomat zuerst alle beteiligten Parteien hören, bevor er einen Lösungsvorschlag unterbreite. Er gab damit seiner Hoffnung Ausdruck, dass dieser Vorschlag womöglich Kanäle öffne, um die Krise doch noch zu beenden.

Seit Beginn des Aufstandes gegen das Regime von Assad im März 2011 sollen inzwischen mindestens 23.000 Menschen getötet worden sein. Eine 300-köpfige Beobachtermission, die der UN-Sicherheitsrat beschlossen hatte, wurde letzten Monat eingestellt. Nicht minder ohne Erfolg war eine vorangegangene Beobachtergruppe der Arabischen Liga geblieben. Keiner konnte die Kampfhandlungen stoppen.

Präsident Assad versicherte dem neuen UN-Gesandten Brahimi "volle Kooperationsbereitschaft", um die Krise zu beenden. Vorausgesetzt allerdings, die Bemühungen seien "neutral und unabhängig". Ein Versprechen, das im Laufe des Konflikts mehrfach gegeben, aber nie gehalten wurde.

Opposition im Zwist

In Damaskus traf Brahimi auch Vertreter des Nationalen Koordinationskomitees für den demokratischen Wandel (NCC) – ein innersyrisches Oppositionsbündnis, das sich aus 13 linksgerichteten, drei kurdischen, einer islamistischen Partei sowie unabhängigen politischen Aktivisten zusammensetzt. Das NCC, das für einen friedlichen Wandel und dezidiert für keine gewaltsame Revolution eintritt, wird vom Staat geduldet. Deshalb betrachten der Syrische Nationalrat in der Türkei und die FSA das Parteien-Konglomerat als "Agenten Assads".

FSA-Kämpfer in einem Vorort von Idlib; Foto: AP
Aussichtsloser bewaffneter Widerstand: Der Kampf der FSA gegen das Regime habe nach Ansicht von Mitgliedern des oppositionellen NCC in eine Sackgasse geführt, könne noch monatelang so weiter gehen und viele weitere tausend Menschen das Leben kosten.

​​"Brahimi ist sehr ernsthaft bemüht, seine Mission zu einem Erfolg zu machen", meint Hassan Abdulazim, der Sprecher des NCC nach seinem Gespräch mit dem UN-Gesandten. Abdulazim war guter Dinge, bevor er von Damaskus nach Peking flog, um dort mit chinesischen Regierungsvertretern über die Syrienkrise zu verhandeln. "Das syrische Regime scheint etwas einsichtiger geworden zu sein", meinte Adulazim. "Assad dachte, die Revolution mit Gewalt unterdrücken zu können, weiß aber mittlerweile, dass das nie möglich sein wird."

Auch andere Mitglieder des NCC sehen es nicht anders. Im Büro des Oppositionsbündnisses, das ganz in der Nähe des Gerichtsgebäudes im Zentrum von Damaskus liegt, herrscht große Zuversicht. Man glaubt, seine Stunde sei bald gekommen. Der bewaffnete Kampf der FSA gegen das Regime habe in eine Sackgasse geführt, könne noch monatelang so weiter gehen und viele weitere tausend Menschen das Leben kosten.

"Am 23. September haben wir ein Treffen aller unserer Mitglieder", sagt Edmond Dahwash, "auf dem werden wir über eine Resolution zur Lösung des Konflikts beraten." Es ist ein Treffen, das völlig unbehindert von der syrischen Staatsmacht stattfinden soll. "Die Russen haben dafür eine Garantie von den syrischen Behörden erwirkt." In Moskau ist man offensichtlich daran interessiert, eine friedliche Opposition gewähren zu lassen – als Alternative zur militanten FSA.

In den Kerkern des Regimes

"Unsere Prinzipien", erklärt Ahmed al-Assroui, ein Mitglied des 25-köpfigen Exekutivrats des NCC, "sind Gewaltlosigkeit, vollkommene religiöse Toleranz und eine Ablehnung einer Intervention aus dem Ausland." Al-Assroui war vor einem Monat nach über sechs Wochen Haft aus dem Gefängnis entlassen worden. Man hatte ihn wegen "Verdachts auf Unterstützung der FSA" verhaftet.

"Wir waren ungefähr 150 Gefangene in einer Zelle von 32 Quadratmetern", berichtet der über 60-Jährige. Geschlagen habe man ihn nicht, dafür sei er zu alt und eine zu bekannte Figur der Opposition. "Mein Sohn wurde auch schon einmal verhaftet und meine Tochter sogar drei Mal, weil sie an Protestdemonstrationen teilgenommen hatte", erzählt er lachend.

Ahmed al-Assroui; Foto: Olaf Wyludda
Ahmed al-Assroui, Mitglied des Exekutivrats des NCC: "„Die Regierung muss alle ihre Kampfhandlungen einstellen und die Truppen in die Kasernen zurückbeordern"

​​Über das Treffen mit Brahimi ist al-Assroui zufrieden. Man habe dem UN-Gesandten die Forderungen des NCC übermittelt, in einem Meeting, das insgesamt 45 Minuten dauerte. "Die Regierung muss alle ihre Kampfhandlungen einstellen und die Truppen in die Kasernen zurückbeordern", beginnt Al-Assroui aufzuzählen.

"Alle politischen Gefangenen müssen freigelassen werden und vollkommene Meinungsfreiheit in den Medien und auf der Straße herrschen." Dann und nur dann wäre man bereit, mit der syrischen Regierung über die politische Zukunft des Landes zu verhandeln.

Diesmal würde sich sogar die FSA an eine Waffenruhe halten, versichert al-Assroui. Dies sei so abgesprochen. "Aber die FSA ist keine homogene Gruppe", wirft Edmond Dahwash entschieden ein. "Da gibt es viele unterschiedliche Organisationen, von denen jede macht, was es will." Da wisse man nie, ob ein Waffenstillstand wirklich möglich sein wird.

Von den Rebellen, die in Aleppo gegen das Regime Assads kämpfen, kam ein Statement zum Besuch Brahimis in Damaskus. "Wir sind sicher, dass der UN-Gesandte, wie alle anderen zuvor, scheitern wird", sagte Oberst Abdel Jabbar al-Okaidi von der FSA. "Allerdings wollen wir nicht der Grund seines Scheiterns sein." Al-Okaidi hatte zusammen mit zwei weiteren Kommandeuren eine Videokonferenz via Skype mit Brahimi geführt. Die beiden anderen Rebellen-Vertreter waren der FSA-Sprecher, Oberst Qassem Saadeddine, sowie der FSA-Führer von Damaskus, Colonel Khaled Hobous.

Große Hoffnungen auf einen Frieden in Syrien gibt es nicht. Bisher waren weder die FSA, noch das syrische Regime an einer friedlichen Lösung interessiert. Aber sie sind es nicht alleine, die über Krieg und Frieden entscheiden. Brahimi muss Russland, China, den Iran, aber auch die Türkei, Saudi-Arabien und Qatar ins Boot holen. Nicht zu vergessen: die USA, die sich in der Syrienkrise bisher mit aktivem und direktem Engagement relativ zurückgehalten hat.

"Die Krise ist gefährlich und wird immer bedrohlicher", sagt Brahimi in Damaskus. "Sie ist eine Bedrohung für das syrische Volk, die Region und die Welt." Tatsächlich: Wenn der algerische Diplomat mit seiner Mission keinen Erfolg hat, könnte die Bedrohung sehr bald Realität werden.

Peter Steinbach

© Qantara.de 2012

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de