Der Arzt, der Osama bin Laden aufspürte

In den Vereinigten Staaten gilt er als Held, in seiner Heimat Pakistan als Verräter: der Arzt Shakeel Afridi, welcher der CIA half, Osama bin Laden aufzuspüren. Zehn Jahre nach der Tötung des Al-Kaida-Chefs sitzt Afridi immer noch in Isolationshaft.



"Er ist nur im Gefängnis, um allen Pakistanern eine Lektion zu erteilen, nicht mit einem westlichen Geheimdienst zu kooperieren", sagt Husain Haqqani, der damalige pakistanische Botschafter in Washington. "Anstatt Bin Ladens Aufenthalt in Pakistan aufzuklären, haben die Behörden Doktor Afridi zum Sündenbock gemacht." Afridi lieferte dem US-Geheimdienst den Beweis, dass sich Bin Laden tatsächlich in dem vermuteten Haus in der Stadt Abbottabad aufhielt. Der Arzt startete ein Impfprogramm und gelangte so an eine DNA-Probe aus dem Versteck.



Wie entscheidend Afridi bei der Identifizierung des Al-Kaida-Chefs tatsächlich war, ist unklar. Die Konsequenzen für den Mediziner waren jedoch dramatisch: Wenige Wochen nach dem tödlichen Angriff der Spezialeinheit der Navy Seals am 2. Mai 2011 wurde Afridi verhaftet.



Er wurde nie für schuldig befunden, etwas mit der Erstürmung des Verstecks zu tun zu haben, aber von einem Stammesgericht nach einem fragwürdigen Gesetz aus der Kolonialzeit zu 33 Jahren Haft verurteilt, weil er angeblich einer aufständischen Gruppe Geld zur Verfügung gestellt haben soll. Die US-Regierung setzte sich immer wieder für Afridis Freilassung ein und wollte einen Gefangenenaustausch aushandeln - erfolglos.



Afridis Zelle im Gefängnis Sahiwal in der Provinz Punjab ist winzig, fünf Quadratmeter groß, wie seine Familie und sein Anwalt berichten - die einzigen, mit denen er Kontakt haben darf. Darin gehe er auf und ab und mache Liegestütze, um sich zu bewegen. Die einzige Lektüre ist der Koran, andere Bücher oder Zeitungen sind verboten.



Zweimal im Monat können ihn Angehörige besuchen, werden aber durch ein Eisengitter getrennt und dürfen sich nicht in ihrer Muttersprache Paschtu unterhalten. "Wir dürfen auch nicht über Politik diskutieren oder über die Situation im Gefängnis sprechen", sagt Afridis Bruder.

"Um es ganz klar zu sagen: Afridi hat den höchsten Preis bezahlt", sagt Michael Kugelman, Südasienexperte am US-Forschungsinstitut Wilson Center in Washington. "Er wurde zum Prügelknaben."



Doch das könnte sich ändern. "Der Rückzug der USA aus Afghanistan und die Verschlechterung der Beziehungen zu Pakistan, die damit einhergehen könnte, lassen vermuten, dass Afridi nicht mehr das heiße Eisen sein wird, das er in der Vergangenheit war", sagt Kugelman.



In Pakistan haben nur wenige Mitleid mit Afridi. "Wenn jemand für einen ausländischen Geheimdienst arbeitet, ist das ein unverzeihliches Verbrechen", sagt Asad Durrani, der ehemalige Chef der pakistanischen Spionagebehörde. Vermutlich habe die Verhaftung den Arzt sogar vor Lynchjustiz bewahrt.



Das Misstrauen, das Afridis Kooperation mit der CIA in Pakistan geschürt hat, wirkt bis heute nach. Der Trick mit der Impfkampagne hat dazu geführt, dass Familien sich weigern, ihre Kinder zum Beispiel gegen Polio impfen zu lassen. Aufständische griffen Impfteams an, Dutzende Mitarbeiter des Gesundheitsdienstes wurden in den vergangenen zehn Jahren erschossen. (AFP)

 

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