Tief in der Seele Anatoliens

Das Trio Olivinn verwebt gekonnt türkische Volkslieder mit deutscher Romantik und Jazz- und Soulklängen. Dabei entsteht eine universelle Musiksprache, in der Zuhörer unterschiedlicher Herkunft jeweils Vertrautes wiederentdecken. Ceyda Nurtsch hat sich mit der Gruppe auf eine Reise durch die Musikkulturen begeben.

Von Ceyda Nurtsch

"Wir möchten euch mit auf eine Reise nehmen", kündigt Sinem Altan an, als sie ihren Platz am Klavier im Theater Ballhaus Naunynstrasse in Berlin einnimmt. In das Klavierspiel fügt sich das Spiel der Langhalslaute Bağlama ein, die der in Erzincan geborene Özgür Ersoy seit seinem achten Lebensjahr beherrscht. Als schließlich auch die Sängerin Begüm Tüzemen einsetzt, sind die drei ein organisches Ganzes.

Gemeinsam geht es auf eine Reise in ein Land, in dem sich die steinigen Weiten Anatoliens mit den saftigen Wiesen Europas zu einem spannungsreichen Bild verdichten. Ein Land, das fern und fremd, gleichzeitig nah und vertraut erscheint. Dieses Eins-Sein in der Musik ist der Gruppe besonders wichtig. So ist auch der Name der Gruppe Programm.

Ein Basaltstein als Quelle der Inspiration

"Der Basaltstein Olivin hat uns zu unserem Namen inspiriert", erklärt Sinem, "Er kann nur durch eine ganz bestimmte Temperatur entstehen. Auch unsere Musik kann sich erst dann entfalten, wenn wir drei mit unseren eigenen Blickwinkeln, unseren eigenen Erfahrungen und Persönlichkeiten aufeinandertreffen."

Olivin kommt in Anatolien vor und hier liegen auch die musikalischen Wurzeln des Trios. Was ihrer Musik den ganz eigenen Charakter gibt, ist, wie Sinem, Begüm und Özgür jeweils mit dieser Herkunft umgehen und daraus ihre unterschiedlichen Zugänge zur Musik gewinnen.

Die temperamentvolle, in Ankara geborene Sinem, zuständig für die Arrangements, beeindruckte bereits im Alter von elf Jahren mit ihrer Musikalität und kam vor 17 Jahren durch ein Musikstipendium für den Fachbereich Klavier und Komposition nach Deutschland. Die Sehnsucht nach ihrer Heimat, die Suche nach ihren musikalischen Wurzeln bestimmen vornehmlich ihren Zugang zur Musik, erzählt sie.

Anders dagegen die stimmgewaltige Begüm Tüzemen. Geboren in Istanbul, absolvierte sie am Staatlichen Konservatorium der Istanbul Universität ihr Musik-Studium. Geprägt hat sie das kosmopolitische Flair der Metropole am Bosporus. Aufgewachsen sei sie hauptsächlich mit Popmusik, "wie die meisten Teenager in Istanbul", erzählt sie, und mit der Leidenschaft für die westliche klassische Musik.

Doch Volkmusik ist ihr nicht fremd. "Mein Großvater hatte mich mit Berühmtheiten wie dem kürzlich verstorbenen Neşat Ertaş oder Aşık Veysel, einem der bedeutendsten alevitisch-türkischen Sänger und Dichter, vertraut gemacht", so Begüm. Durch die Arbeit mit ihren Triokollegen findet sie nun die Möglichkeit, sich intensiver mit dem türkischen Volkslied auseinanderzusetzen. Schnell eignete sie sich die nötigen Techniken an, die in ihrer Gesangsausbildung bis dahin ausgeklammert waren.

Nicht nur die richtige Töne treffen

"Es geht nicht nur darum, die richtigen Töne zu treffen. Man muss auch verstehen, welche Geschichte in den Liedern erzählt, welches Gefühl vermittelt wird. Man muss in die Geschichte eintauchen und verstehen, dass Jahrzehnte von Erfahrungen hinter dieser Kunstform stecken", beschreibt Begüm Tüzemen diesen Lernprozess.

Dass sie sich nicht früher mit diesem Genre auseinandergesetzt hat, dass türkische Volksmusik für viele westlich orientierte Familien in türkischen Großstädten im besten Fall fremd ist, häufig jedoch als minderwertig angesehen wird, ärgert sie heute.

Auch Özgür, "die Seele Anatoliens, der seine Wurzeln wie in einem Rucksack immer mit sich trägt", wie ihn die beiden Frauen des Trios beschreiben, setzt sich für eine Aufwertung des türkischen Volkslieds ein. "Ich würde mir wünschen, dass mehr westlich orientierte Menschen in der Türkei verstehen würden, dass die türkische Volksmusik und die Kunstmusik eine Einheit bilden. Auch die Musikkonservatorien machen hier einen großen Fehler", kritisiert Özgür, der selbst am Staatlichen Konservatorium der Ege Universität in Izmir studiert hat und neben der Langhalslaute die armenische Flöte Duduk, die Mey und die dem Tamburin ähnliche Bendir spielt.

Trio Olivinn; © Trio Olivinn
Neue Klangwelten und stetige musikalische Weiterentwicklung: Ziel des Trio Olivinn ist es, zeitgenössische Musik zu machen, die "nicht an Vielfalt und an Pointen verliert".

​​Musikalische Spuren

Die Musik, die auf anatolischem Boden entstand, in der zahlreiche Völker von den Hethitern, den Ioniern bis hin zu Kaukasiern und Tscherkessen ihre Spuren hinterlassen haben, birgt für die drei ein enormes Potential, das sie spielerisch weiterentwickeln. "Schubert hat Elemente des deutschen Volkslieds in die Liedkunst gebracht", so Sinem. Das sei in der türkischen Musik dieses Jahrhunderts bis heute noch nicht geschehen.

So ist ihr Arrangement "Hekimoğlu/Die Forelle" auch als Hommage an den Wiener Romantiker und einen ihrer Lieblingskomponisten zu verstehen. Hier fließen in das zu den bekanntesten deutschen Kunstliedern zählende Lied "Die Forelle" nach und nach orientalische Vierteltöne.

Allmählich verschiebt sich der Rhythmus, wird schleppend; und spätestens als Begüm die Liedzeile "Man nennt mich Hekimoğlu, ich habe mir ein Gewehr gemacht" singt, wird Schuberts Bächlein zu einem der anatolischen Zuflüsse zum Schwarzen Meer: Man lauscht dem Lied über einen Bauern aus der Provinz Ordu, der zum Volksheld wird, weil er sich Großgrundbesitzern widersetzt.

Durch die Synthese, in der zugleich beide Lieder ihre Eigenheit beibehalten, "können Menschen, die sonst vielleicht nicht nebeneinander sitzen würden, in ein und demselben Stück ihre Wurzeln entdecken", erklären die drei. Das ist auch das Ziel, das das Trio, das seit 2008 gemeinsam musikalisch unterwegs ist verfolgt.

Provokation als Programm

Symptomatisch für den Umgang mit unbequemen Künstlern ist für Sinem das derzeit laufende Gerichtsverfahren gegen den in der Türkei umstrittenen Pianisten Fazıl Say, dessen Aussagen als Provokation empfunden werden und mit dem Özgür schon einmal gemeinsam auf der Bühne stand.

In den populären Multi-Kulti-Sog der Weltmusik hineingezogen werden möchten die drei jedenfalls nicht. In der Türkei werden neue Kreationen häufig als "eigener Exotismus" angeboten. "Die Gefahr besteht darin, sich selbst als exotisch zu sehen, sich durch die Brille anderer Länder quasi von außen zu betrachten", so Sinem.

Musikalischen Stillstand kennen die drei nicht, weil ihnen Witz, Spielfreude und die Lust an der heiteren und frechen Provokation ins Gesicht geschrieben steht. Ob mit Rundfunksymphonieorchestern, Blechbläserkapellen oder mit dem Berliner DJ İpek İpekçioğlu – das Trio Olivinn sieht sich erst am Anfang seines musikalischen Schaffens. Ihr Ziel ist es, zeitgenössische Musik zu machen, die "nicht an Vielfalt und nicht an Pointen verliert." Dass das Trio auf dem richtigen Weg ist, bestätigt ihnen auch das begeisterte Publikum.

Ceyda Nurtsch

© Qantara.de 2012

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de