«Das ist kein Leben» - Syrien- und Irak-Flüchtlinge fürchten Winter

Sie harren in Flüchtlingscamps aus, in Rohbauten und Zeltlagern am Straßenrand: Im Libanon, Jordanien und in der Autonomen Region Kurdistan leben Millionen Flüchtlinge unter dramatischen Umständen. Und bald kommt der Winter. Von Stefanie Järkel und Weedah Hamzah

Das Haus, in dem Kocher Haji lebt, hat keine Fenster, keine Heizung und keine Türen. Seit August 2014 haust die 35-Jährige mit ihrem Mann und ihren acht Kindern in einem zweistöckigen Rohbau am Rande der Stadt Dohuk im Nordirak. Sie sind aus der Sindschar-Region geflohen, als die Terrormiliz Islamischer Staat ihr Dorf überfiel - und warten darauf, heimkehren zu können.

«Was sollen wir hier? Das ist doch kein Leben», sagt Haji. Das Viertel besteht aus Bauruinen, in denen Flüchtlinge wohnen. Für den bevorstehenden Wintereinbruch ist niemand gerüstet. Die Familie bekomme seit drei, vier Monaten kein Essen mehr, sagt Haji. Sie versuchten, mit Gelegenheitsjobs Geld zu verdienen, um sich Linsen, Weizen und Reis andernorts zu besorgen. In eines der Flüchtlingscamps seien sie nicht mehr aufgenommen worden, kein Platz.

Nach Angaben der Provinzregierung der Autonomen Region Kurdistan leben rund zwei Drittel der Flüchtlinge und Vertriebenen außerhalb der 22 Camps rund um die Stadt.

Äußerst schwierig ist die Lage auch im Libanon. Das kleine Mittelmeerland mit seinen rund vier Millionen Einwohnern erlaubt keine offiziellen Flüchtlingslager. Dorthin sind allerdings laut Flüchtlingshilfswerk UNHCR mehr als eine Million Syrer vor dem Bürgerkrieg in ihrer Heimat geflohen. Da der Libanon selbst in einer schweren politischen und wirtschaftlichen Krise steckt, will die Regierung in Beirut unbedingt verhindern, dass die Flüchtlinge auf Dauer bleiben.

So entstehen inoffizielle Lager wie das Torbol-Camp im Osten, wo rund 600 Syrer leben. Die meisten stammen aus der heftig umkämpften einstigen Rebellenhochburg Homs und aus Deir al-Zohr, wo die IS-Miliz die Kontrolle übernommen hat. Abu Mustapha aus Homs, Vater von fünf Kindern, ist besorgt: «Wir sind für den Winter nicht richtig ausgestattet. Schon als es neulich geregnet hat, waren alle unsere Zelte überflutet.» Der Syrer Abu Ahmad fügt hinzu: «Im vergangenen Jahr haben wir sehr gelitten: ein Meter Schnee und immer wieder Überschwemmungen.»

Von dem Kälteeinbruch in den kommenden Wochen sind nach Einschätzung der UNHCR insgesamt rund 15 Millionen aus ihren Häusern vertriebene Syrer und Iraker in der Region betroffen. In Syrien tobt seit etwa viereinhalb Jahren der blutige Konflikt zwischen der Regierung von Präsident Baschar al-Assad und aufständischen Gruppen. Im Irak hat der IS zahlreiche Menschen getötet oder vertrieben. Auf der Flucht wurden die Ersparnisse vieler Betroffener inzwischen aufgebraucht, der Schmuck ist längst verkauft.

Rund vier Millionen Syrer sind laut UNHCR-Statistik vor dem Krieg über die Grenzen geflohen. Die meisten von ihnen leben in den Nachbarländern. In der Autonomen Region Kurdistan im Norden des Iraks müssen neben den Syrern mehr als eine Million Vertriebene aus dem eigenen Land versorgt werden. Die Menschen klagen über die schlechte Versorgung, die Vereinten Nationen - die gemeinsam mit anderen Helfern derzeit Regenkleidung, Decken und Heizmaterialien verteilen - über Geldprobleme.

Die Nachbarstaaten sind mit der Lage seit langem völlig überfordert. Königin Rania von Jordanien sprach vor einigen Wochen im Nachrichtensender «Sky News» von 1,4 Millionen Syrern in ihrem Königreich: «Das sind 20 Prozent unserer Bevölkerung. Um es ins Verhältnis zu setzen: Das entspricht zwölf Millionen Menschen, die nach Großbritannien oder 16 Millionen, die nach Deutschland kämen.» (dpa)