Das Ende des Journalismus in Afghanistan

Afghanistans lebendige Medienlandschaft ist eine der großen Erfolgsgeschichten der vergangenen 20 Jahre. Nach der Machtübernahme der Taliban steht die ganze Branche vor dem Aus. Von Agnes Tandler (epd)

Dubai/Kabul. «Hier gibt es keine Anspannung, keine Angst oder die Sorge, dass mir jemand folgt, mich angreift oder verhaftet», erzählt Zubair Babakarkhail. Über 17 Jahre lang hat der afghanische Journalist in Kabul gearbeitet, nun bereitet er sich in einem amerikanischen Flüchtlingslager auf ein neues Leben in den USA vor.



Der 43-Jährige hat keine Hoffnung, dass Journalisten unter der neuen Taliban-Regierung weiter ihrer Arbeit nachgehen können: «Die Führung redet zwar von Meinungs- und Pressefreiheit, aber die Taliban-Kämpfer, die von Haus zu Haus ziehen, sehen das anders.»



Babakarkhail hatte großes Glück. Nach langen Tagen des Wartens vor einem Tor des Hauptstadt-Flughafens schaffte er mit seiner Familie auf einen Evakuierungsflug. Viele andere blieben zurück.



Nach Schätzungen der Internationalen Journalistenvereinigung IFJ sind noch etwa 1.300 Medienschaffende in Afghanistan - darunter etwa 200 Frauen. Doch ihre Arbeit wird jeden Tag gefährlicher. Der Fotograf Morteza Samadi, der einen Protest gegen die Taliban in der ostafghanischen Stadt Herat gecovert hat, ist seit über einer Woche spurlos verschwunden. Das Komitee zum Schutze von Journalisten (CPJ) fordert seine sofortige Freilassung. Seine Festnahme sei ein weiterer Beweis «für das Versagen der Taliban, ihre früheren Versprechen einzuhalten und Medienvertreter frei und unabhängig arbeiten zu lassen», kritisiert CPJ-Programmdirektor Carlos Martinez de la Serna.



Berichte über Repression gegen Medienvertreter mehren sich: Die beiden Video-Journalisten Taki Daryabi und Nematullah Nakdi wurden am 7. September von Taliban-Kämpfern festgenommen, als sie den Anti-Taliban-Protest in Kabul für den Internetauftritt der Zeitung «Etilaatroz» filmten. Die beiden wurden getreten, geschlagen, mit Stromkabeln traktiert, ausgepeitscht und so brutal zugerichtet, dass sie während ihrer stundenlangen Tortur immer wieder ohnmächtig wurden. «Wir können von Glück sagen, dass wir nicht enthauptet wurden», sagte Taki Darayabi später. Fotos, die die Zeitung «Etilaatroz» später von ihren beiden Reportern veröffentlichte, zeigen das erschreckende Ausmaß der Verletzungen.



Journalistinnen sind inzwischen fast völlig aus der Öffentlichkeit verschwunden. Fernseh-Moderatorin Beheschta Arghand, die zwei Tage nach der Einnahme Kabuls durch die Taliban im TV-Sender Tolo News überraschenderweise ein Interview mit einem Taliban-Führer geführt hatte, hat inzwischen Afghanistan verlassen. Unter den Taliban sieht sie keine Zukunft: «Wenn man nicht einmal einfache Fragen stellen kann, wie kann man dann journalistisch arbeiten», fragte die 24-Jährige in der britischen Zeitung «The Guardian».



Neben der Angst vor Verhaftung, Verschleppung, Folter und Mord ist es auch die wirtschaftliche Lage, die die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten immer schwieriger macht. Einer Analyse von «Tolo News» zufolge, haben im vergangenen Monat 153 afghanische Medienorganisationen ihren Betrieb eingestellt, darunter Radiosender, Fernsehstationen, Zeitungen und Magazine. Grund dafür sind neben Zensur und Einschränkungen auch finanzielle Probleme. Fast alle Medien erhielten bislang ausländische Finanzhilfen.



Der Fernseh-Sender «Tolo» etwa ist Teil der Moby-Gruppe, Afghanistans größtem Medienkonzern, der unter anderem vom australischen Medienmogul Rupert Murdoch und der US-Regierung unterstützt wird. Auch Afghanistans Nachrichtenagentur Pahjwok erhielt bislang amerikanische Finanzhilfen. «Wenn solche Organisationen die afghanischen Medien nicht weiter unterstützen, dann werden auch die verbleibenden Unternehmen im Land schließen müssen», prophezeit Hudschatullah Mudschadadi, der stellvertretende Leiter des Afghanischen Journalistenverbandes. (epd)