Christliches Institut in Jerusalem will Zusammenleben fördern

Mitten im erneut eskalierten Nahostkonflikt will ein akademisches Wohnprojekt die Religionen zusammenbringen. Ein Beispiel für die vielen Graswurzel-Initiativen für Frieden im Heiligen Land.



Jerusalem. Juden, Muslime und Christen, die unter einem Dach leben und sich als Gemeinschaft fühlen? Klingt angesichts der gegenwärtig angespannten Lage zwischen Juden und Arabern in Israel utopisch. Genau das aber ist der Plan. Ab August soll auf dem Gelände des ökumenischen Studien- und Begegnungszentrums "Tantur" am südlichen Stadtrand Jerusalems eine internationale Wohngemeinschaft entstehen, deren Ziel es ist, "Mauern einzureißen" und "Gemeinschaft aufzubauen". Hinter der interreligiösen, multiethnischen Initiative steht die "Universität Notre Dame in Tantur" (UNDT).



Nach Tantur verirrt man sich nicht aus Versehen. Von den hektischen Verkehrsadern zwischen Jerusalem und Bethlehem führt eine kleine Straße durch die mehr als einen Hektar große Gartenanlage. Oliven wachsen hier und Zitronen. Der Turm zum Innenhof des Gebäudekomplexes erinnert an eine Burg und unterstreicht den romantischen Charakter des Ortes. Bei guter Sicht blickt man im Osten über die judäische Wüste bis nach Jordanien.



Seit Beginn der Covid-19-Pandemie ist es hier stiller als sonst. Nur das Rauschen der Hauptstraßen dringt auf den Hügel. Das soll sich ändern. Ab dem Herbst sollen nicht nur die internationalen Studierenden für Auslandssemester zurückkehren. Erstmals soll der Ort für die örtliche Gemeinde geöffnet, "der Campus bunter und reicher" werden, erklärt Daniel Schwake, seit 2019 geschäftsführender UNDT-Direktor. "Unsere Studierenden sollen in einer Oase, aber nicht in einer Blase leben", so der Sohn eines Deutschen und einer arabischen Christin, der fließend Arabisch, Deutsch, Englisch und Hebräisch spricht.



Weder "hochidealistisch-naiv" noch "selbstherrlich": "Wir denken nicht, jetzt kommen wir und es gibt Frieden. Wir können Türen öffnen und zeigen, dass hier ein sicherer Ort ist für jene, die zusammenzuleben wollen und das ökumenische Leitbild der Uni schätzen", so Schwake. In der Unkenntnis des jeweils anderen sieht er einen wesentlichen Grund für den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern.



Aus den "anderen" würden so "Menschen mit Gesicht, Menschen, die wir kennen", sagt auch Sarah Heiman. Die US-Amerikanerin, als "Student life program"-Direktorin verantwortlich für die Begleitung der Studierenden in Sachen Seelsorge, Gesundheit und Entwicklung, hofft, dass so "Stereotypen herausgefordert werden".



Ein vergleichbares Angebot gebe es im akademischen Bereich bisher nicht in Israel, sagt Schwake. Dabei biete das Projekt für alle einen Gewinn. Angesichts des häufigen Wechsels der Gaststudierenden können die einheimischen studentischen Bewohner Stabilität bringen. Für die Austauschstudierenden sind sie zugleich eine Brücke ins Gastland, "eine Möglichkeit, mit Einheimischen ihrer Altersklasse zu interagieren", ergänzt Heiman. Und schließlich wolle man keine Insel sein, sondern auch auf die Bedürfnisse der örtlichen Bevölkerung antworten.



"Es gibt Bedarf und auch das Verlangen nach dieser internationalen Lebens- und Lernerfahrung", sagt Heiman. Anfragen gebe es viele, derzeit vor allem aus arabisch-israelischen Kreisen, aber auch jüdisches Interesse sei vorhanden. Für die erste Kohorte hofft man auf fünfzehn einheimische Bewohner. Insgesamt zehn Wohnungen mit zwei bis fünf Schlafzimmern stehen für das Kohabitationsprojekt zur Verfügung – zusätzlich zu Gemeinschaftsräumen in dem großzügigen Komplex. Der Mietpreis von umgerechnet knapp 600 Euro liegt dabei für Jerusalemer Verhältnisse im moderaten Bereich.



Wie die neue Gemeinde in Zukunft konkret aussehen wird, hängt dabei wesentlich von ihren Mitgliedern ab. Der Wille, sich in das gemeinsame Leben einzubringen, ist Voraussetzung für die Aufnahme. Hochschulgemeinden in Deutschland, die ebenfalls maßgeblich von Studierenden getragen werden, dienen als Vorbild, nur eben ökumenisch und interreligiös. "Es ist ein sehr kleines Programm, das gut auf die Bedürfnisse der Teilnehmer zugeschnitten werden kann", sagt Schwake, der in Münster studiert und 15 Jahre in Deutschland gelebt hat. Für Heiman liegt ein besonderer Reiz in der Anfangsphase des Projekts: Die erste Kohorte, sagt sie, werde den Weg der neuen Gemeinschaft maßgeblich mitprägen. (KNA)