Bundestag stuft Verbrechen an Armeniern als Völkermord ein

Der Bundestag stuft die Vertreibung und Ermordung von 1,5 Millionen Armeniern vor 100 Jahren im Osmanischen Reich als Völkermord ein. Fast einstimmig verabschiedete das Parlament in Berlin am Donnerstag eine Resolution, die auf erbitterten Widerstand der Türkei trifft.

Schon lange wird um den Begriff «Völkermord» gerungen. Vor dem Hintergrund des Flüchtlingsabkommens mit der Türkei hätte der Zeitpunkt einer Entscheidung des Parlaments nun kaum brisanter sein können. Die deutschen Parlamentarier zeigten sich bewusst unbeeindruckt davon. «Der Zeitpunkt, um über etwas so Grausames zu sprechen wie einen Völkermord, ist nie günstig», sagte der Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir.

In der Resolution heißt es, das Schicksal der Armenier stehe «beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen, ja der Völkermorde, von denen das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gekennzeichnet ist». Das Papier benennt erstmals auch eine Mitschuld des Deutschen Reiches, das als enger Verbündeter der damaligen jungtürkischen Regierung zu den Verbrechen geschwiegen hatte. Im Bundestag gab es nur eine Stimme gegen die Entschließung und eine Enthaltung.

Auch die Linksfraktion, die auf Wunsch der Union bei gemeinsamen Anträgen zu Sachfragen außen vor gelassen wird, stimmte für den Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD. Der SPD-Abgeordnete Rolf Mützenich beschrieb die Resolution als Appell zur Selbstverantwortung und zur Aufarbeitung an die Türkei und Armenien. Der CDU-Politiker Franz Josef Jung sagte, der Antrag sei Ausdruck des Respekts vor den Opfern. Die Bezeichnung der Verbrechen an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten als «Völkermord» erfolge in Übereinstimmung mit der Definition der Vereinten Nationen.

Die Türkei erzürnt die Verwendung des Begriffs. In einer Erklärung der Mehrheit türkischer Parlamentsabgeordneter, die am Donnerstag unmittelbar vor der Bundestagsabstimmung verbreitet wurde, wird die Resolution als «rechtswidrig» bezeichnet und vor einer «auseinanderbringenden Wirkung» auf Deutsche und Türken auch in Deutschland gewarnt.

Vor der Abstimmung im Bundestag versuchten auch türkische Organisationen in Deutschland, Einfluss auf die Abgeordneten zu nehmen. Nach Angaben von Abgeordneten und Parlamentspräsident Norbert Lammert (CDU) erhielten die Parlamentarier auch Hassmails und Todesdrohungen von Gegnern der Resolution. Zur Eröffnung der Debatte verurteilte Lammert dies am Donnerstag scharf: «Drohungen mit dem Ziel, die freie Meinungsbildung des Deutschen Bundestages zu verhindern, sind inakzeptabel», betonte Lammert. Die deutschen Abgeordneten würden unbequemen Fragen nicht aus dem Weg gehen.

Während die Türkei Medienberichten zufolge nach der Verabschiedung der Resolution sogar einen Abzug des Botschafters aus Berlin erwägt, beschwor Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Freundschaft zwischen Berlin und Ankara. Die Tiefe der Beziehungen sei groß, auch wenn man in vielen Fragen unterschiedlicher Meinung sei, sagte Merkel in Berlin.

Dass die Kanzlerin ebenso wie Vizekanzler Sigmar Gabriel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (beide SPD) aus Termingründen nicht an der Abstimmung über die Resolution teilnahmen, wurde zuvor von einigen Abgeordneten kritisch kommentiert. Für den Abzug des Botschafters gab es zunächst keine Bestätigung aus dem Auswärtigen Amt.

Die katholische Deutsche Bischofskonferenz begrüßte die Entscheidung des Bundestags. Es gebiete die Redlichkeit, keinen Zweifel daran zu lassen, dass es sich bei den Verbrechen gegen die Armenier nicht um kriegsbedingte Exzesse, «sondern um eine systematische Vernichtungsaktion, um einen Genozid» gehandelt habe, sagte der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx. Die Vertreibung und Vernichtung von Armeniern, Aramäern, Assyrern und Pontos-Griechen begann am 24. April 1915. Den Massakern und Deportationen fielen bis zu 1,5 Millionen Menschen zum Opfer. (epd)