Bundesregierung: Türkische Sicherheitsinteressen kein Grund für Syrien-Einsatz

Die Bundesregierung ist besorgt: Der türkische Einmarsch drohe Teile der Bevölkerung zu vertreiben und die Region zu destabilisieren. Die Offensive könne sogar zu einem Wiedererstarken der Terrormiliz «Islamischer Staat» führen.

Die Sicherheitsinteressen der Türkei bieten laut Bundesregierung keinen Grund für die Militäroffensive im Nordosten Syriens, durch die nach UN-Angaben immer mehr Menschen in die Flucht getrieben werden. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte am Montag in Berlin, Deutschland sehe, dass es «berechtigte Sicherheitsinteressen» gebe, denn die Türkei sei immer wieder bedroht durch Terrorismus. Dies sei jedoch «keine Begründung für diese jetzt gestartete militärische Operation». Deswegen sei die Türkei aufgefordert, den Einsatz umgehend zu beenden. Die Türkei beruft sich bei der Offensive auf ihr Selbstverteidigungsrecht und argumentiert, dass der Kampfeinsatz im Nachbarland daher völkerrechtskonform sei.

UN-Generalsekretär António Guterres erklärte, dass seit Mitte vergangener Woche mindestens 160.000 Menschen vor den Kämpfen zwischen türkischer Armee und kurdischen Milizen geflohen seien. Die Weltgesundheitsorganisation geht von bis zu 200.000 Frauen, Männern und Kindern auf der Flucht aus. Fast 1,5 Millionen Menschen bräuchten medizinische Hilfe, im physischen wie im mentalen Bereich.

UN-Vertreter betonten, dass die Erhebung genauer Zahlen unmöglich sei. Guterres beklagte zudem viele zivile Opfer und verlangte von den Konfliktparteien äußerste Zurückhaltung. Der komplexe Syrienkonflikt könne nur politisch gelöst werden.

Die EU-Außenminister verurteilten in Luxemburg die türkischen Angriffe, die zu «mehr zivilem Leid und weiterer Vertreibung führten. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) sagte: »Eine humanitäre Katastrophe bahnt sich an.« In einer Erklärung forderten die Außenminister die Türkei zum Rückzug auf. Zugleich einigten sie sich auf eine gemeinsame Linie zu Waffenexporten in die Türkei. Maas sagte, es sei beschlossen worden, dass die EU und die Mitgliedstaaten »sich dem anschließen, was Deutschland und Frankreich bereits getan haben, nämlich keine Rüstungsexporte in die Türkei zu genehmigen«.

Regierungssprecher Seibert sprach von einer »Meinungsverschiedenheit« mit der Türkei. »Wir sehen nicht, wie eine weitere Destabilisierung dieser Region, wie das Auslösen von neuen Flüchtlingsströmen, wie die sich zuspitzend schlechte humanitäre Situation der betroffenen Menschen in der Region dazu führen kann, dass Sicherheitssorgen geringer werden«, sagte er. Vielmehr drohe die Operation, größere Teile der lokalen Bevölkerung zu vertreiben und die Region zu destabilisieren. Die Offensive könne sogar zu einem Wiedererstarken der Terrormiliz »Islamischer Staat« führen. An dem EU-Türkei-Abkommen - wonach in Griechenland ankommende Bootsflüchtlinge wieder in die Türkei zurückgeschickt werden – hält die Bundesregierung derweil fest.

Seit Mittwoch vergangener Woche führt die Türkei eine Offensive gegen die Kurden im Nordosten Syriens. Zuvor hatten die USA den Abzug ihrer Truppen aus der Region angekündigt. US-Streitkräfte und kurdische Einheiten hatten dort in den vergangenen Jahren gemeinsam gegen den IS gekämpft.

Die Türkei betrachtet die kurdischen Kräfte im Nordosten Syriens als Terroristen. Inzwischen stellte sich laut Medienberichten das Regime des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad militärisch an die Seite der Kurden. In Syrien herrscht seit 2011 ein blutiger Konflikt, der mit Protesten gegen Assad begann. (epd)