Blutiger Fastenmonat - IS nutzt Ramadan für beispiellose Terrorserie

Istanbul, Dhaka, Bagdad: Die IS-Terrormiliz schlägt in kurzer Abfolge in drei Städten zu. Damit will der Islamische Staat beweisen, wie stark und mächtig er noch immer ist. Von Jan Kuhlmann

Die Wucht des Anschlags war selbst für Bagdader Verhältnisse außergewöhnlich. Die Detonation der Autobombe in einem beliebten Einkaufsviertel der irakischen Hauptstadt tötete nicht nur mehr als 200 Menschen, sondern zerstörte auch ganze Gebäude. Wo ein Einkaufszentrum mit bunter Leuchtreklame stand, blieben nur noch ausgebrannte Mauern. In den sozialen Medien verbreiteten Iraker Fotos von ganzen Familien, die bei dem Anschlag ausgelöscht wurden. Mit dem Attentat hat der Terror des Islamischen Staates (IS) einen neuen Höhepunkt erreicht.

Der Angriff in Bagdad war der dritte Anschlag innerhalb kurzer Zeit, für den die Miliz verantwortlich gewesen sein dürfte. Erst attackierten drei Selbstmordattentäter den Istanbuler Flughafen und rissen 45 Menschen mit in den Tod. Dann folgte die Horrornacht in Bangladesch, als bei einer Geiselnahme 28 Menschen starben. Hinzu kommen vereitelte Anschläge im Golfemirat Kuwait.

Eine solche Serie von IS-Anschlägen sei «ohne Präzedenz», sagt der Terrorexperte der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Guido Steinberg. Einmal mehr stellte der IS unter Beweis, dass er längst global agiert und seinen Einflussbereich ausgedehnt hat.

Der Zeitpunkt der Angriffe ist dabei kein Zufall, schließlich endet in dieser Woche der Fastenmonat Ramadan. IS-Sprecher Abu Mohammed al-Adnani hatte schon vor Beginn der für Muslime so wichtigen Wochen in einer über das Internet verbreiteten Audiobotschaft mit neuen Attentaten gedroht.

Während der Ramadan für die meisten Muslime eine Zeit der Familie und der Besinnung ist, nutzt der IS den Fastenmonat, um seinen «Heiligen Krieg» gegen die «Ungläubigen» zu verschärfen. Die Terrormiliz reagiert mit solchen Attentaten auf die militärische Lage in Syrien und im Irak, wo die Extremisten zuletzt unter Druck geraten sind. Erst vor wenigen Wochen konnte die irakische Armee die IS-Hochburg Falludscha im Westen des Landes zurückerobern und damit auch eine wichtige Versorgungsroute der Miliz abschneiden. Täglich fliegen Jets der US-geführten internationalen Koalition in Syrien und im Irak Luftangriffe auf die Dschihadisten. Die Zahl der Opfer in den Reihen der Dschihadisten dürfte groß sein.

Die schnelle Abfolge der jüngsten Terrorattacken sei geplant gewesen, sagt die Nahost-Expertin Lina Khatib von der britischen Denkfabrik Chatham House: «Je mehr die Organisation militärisch unter Druck steht, desto mehr wird sie versuchen, das mit Attacken in der ganzen Welt zu kompensieren.»

Mit den Anschlägen will der IS unter Beweis stellen, wie mächtig er trotz aller Rückschläge am Boden weltweit noch immer ist. Die Terrormiliz wirkt nicht zuletzt deshalb attraktiv auf viele vor allem junge Muslime, weil sie sich ihnen als starke Organisation präsentiert, die ihren verhassten Feinden die Stirn bietet. Um weiter Kämpfer anwerben zu können, muss sie Erfolge vorweisen. Das gilt auch für potenzielle Geldgeber, die die Terrormiliz nur dann unterstützen dürften, wenn sie von deren Einfluss überzeugt sind.

Mit den Anschlägen kehre der IS zu seinem «alten Kerngeschäft» zurück, sagt SWP-Experte Steinberg. Seit dem Vormarsch in Syrien und im Irak hatte sich die Miliz darauf konzentriert, in den beiden zerrütteten Ländern einen eigenen Staat aufzubauen, ein «Islamisches Kalifat». «Sie rechnen damit, dass der Staat verloren geht, also müssen sie aktiv werden», meint Steinberg. «Sie müssen anders Propaganda betreiben, durch viele und brutale Großanschläge.»

Die Ziele ähneln sich. Im Irak richten sich die Attentate immer wieder gegen Schiiten, die für die sunnitischen IS-Extremisten «Abtrünnige» sind. Damit will die Miliz weiter Zwietracht zwischen den beiden Konfessionen säen. In Bangladesch waren die meisten Opfer Ausländer. In Istanbul nahmen die Selbstmordanschläge einen Ort ins Visier, den auch viele Ausländer nutzen.

Lina Khatib erwartet, dass die nächsten Attentate des IS nicht lange auf sich warten lassen werden. Wo aber die Extremisten den nächsten Anschlag verüben, lässt sich nicht vorhersagen. «Es gibt hinter dem eigentlichen Ort keinen großen Plan», glaubt Khatib. «Sie schlagen zu, wo immer sie können, vor allem an Orten, wo die Sicherheitskräfte nicht in der Lage sind, Attentate zu verhindern.» Die 37 Jahre alte Chalida Ahmed aus Bagdad rechnet mit dem Schlimmsten: «Was in Karada passiert ist, wird nicht das Letzte und das Heftigste gewesen sein.» (dpa)