Bislang mehr als 930 Festnahmen bei Protesten in Tunesien

Bei den Protesten in Tunesien sind in den vergangenen Tagen mehr als 930 Menschen festgenommen worden. "Insgesamt befinden sich 937 Menschen in Haft", sagte ein Sprecher des tunesischen Innenministeriums am vergangenen Montag. Ihnen werde Gewalt, Diebstahl oder Vandalismus vorgeworfen.

Demnach wurden allein am letzten Sonntag 41 Protestierer im Alter zwischen 13 und 19 Jahren festgenommen. Seit Beginn der Proteste wurden nach Angaben des Ministeriumssprechers 105 Angehörige der Sicherheitskräfte verletzt.

In dem nordafrikanischen Land gibt es seit rund einer Woche teils gewaltsame Proteste gegen die anhaltenden wirtschaftlichen und sozialen Missstände. Demonstriert wurde auch am Sonntag, dem siebten Jahrestag des Sturzes des langjährigen Machthabers Zine el Abidine Ben Ali.

Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen versammelten sich am Sonntag vor dem Sitz der einflussreichen Gewerkschaft UGTT in Tunis mehr als tausend Demonstranten. In Sprechchören forderten sie "Arbeit, Freiheit, Würde", wie es bereits die Demonstranten im Jahr 2011 getan hatten. Außer der UGTT hatte auch die Volksfront zu einem Marsch ins Zentrum von Tunis aufgerufen. Einem Demonstrationsaufruf der islamistischen Ennahda-Partei, die an der Regierung beteiligt ist, folgten hunderte weitere Menschen.

Anlass der Kundgebungen war der Sturz Ben Alis, der vor sieben Jahren mit Massenprotesten nach 23 Jahren aus dem Amt gejagt worden war. Die Protestbewegung in Tunesien war der Ausgangspunkt des Arabischen Frühlings, der sich auf viele andere arabische Länder ausweitete.

Tunesiens Staatschef Béji Caïd Essebsi weihte an dem Jahrestag ein Jugendzentrum in Ettadhamen, einem Arbeiter-Vorort von Tunis, ein. Auch dort hatte es vergangene Woche gewaltsame Zusammenstöße zwischen jungen Demonstranten und der Polizei gegeben. "Dieses Jahr werden wir anfangen, uns um die Jungen zu kümmern", sagte Essebsi. Diese hätten schließlich die Revolution in Tunesien angeführt.

Die jüngsten Proteste gegen Preiserhöhungen, den Sparplan der Regierung für 2018 sowie gegen die Korruption hatten am 7. Januar unter dem Motto "Fech Nestannew" (Was erwarten wir?) begonnen, vielfach schlugen sie in Gewalt um. Nach Angaben des Innenministeriums wurden mehr als 800 Menschen festgenommen.

Zuletzt flauten die Proteste ab. Sie machten jedoch deutlich, dass die Demokratisierung Tunesiens nach dem Arabischen Frühling durch wirtschaftliche Probleme gefährdet ist.

In Tebourba, einer der aktuellen Protesthochburgen, sagte der 38-jährige Arbeitslose Walid: "Seit sieben Jahren geht nichts voran. Wir haben Freiheit bekommen, das stimmt, aber wir sind noch ausgehungerter als vorher." Der Demonstrant Mohamed Wajdi in Tunis sagte hingegen, der Arabische Frühling sei "das Beste" gewesen, "was passieren konnte, trotz der Mühsalen".

Am letzten Samstag kündigte Sozialminister Mohamed Trabelsi nach einem Krisentreffen bei Präsident Essebsi einen Aktionsplan im Umfang von mehr als 70 Millionen Dinar (23,5 Millionen Euro) an, von dem mehr als 120.000 Bedürftige profitieren sollen. Die Regierung will unter anderem die Sozialleistungen für bedürftige Familien um mindestens 20 Prozent anheben. Abhängig von der Zahl der Kinder sollen Familien statt 150 Dinar künftig 180 oder 210 Dinar bekommen.

Mit Bürgschaften will die Regierung arme Familien zudem beim Kauf von Wohneigentum unterstützen. Zudem werde künftig "ausnahmslos allen Tunesiern" eine medizinische Versorgung garantiert, sagte Trabelsi.

Die tunesische Regierung muss allerdings auch Vorgaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) beachten. Weil die für Tunesien entscheidende Tourismusbranche 2015 nach einer Reihe islamistischer Anschläge in eine schwere Krise geraten war, hatte das Land beim IWF ein Darlehen in Höhe von 2,4 Milliarden Euro für vier Jahre aufgenommen. Im Gegenzug verpflichtete sich die Regierung zu einem Abbau des Staatsdefizits und zu Wirtschaftsreformen.

Die Inflation in Tunesien lag Ende 2017 bei über sechs Prozent. Die Jugendarbeitslosigkeit beträgt nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) mehr als 35 Prozent. (AFP)