Berliner Theologe Felix Körner über christlich-islamischen Dialog

Berlin. Jesuitenpater Felix Körner (58) will am Zentralinstitut für Katholische Theologie der Berliner Humboldt-Universität den christlich-islamischen Dialog fördern. In einem am Donnerstag veröffentlichten Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) sprach der Professor für "Theologie der Religionen" über Herausforderungen eines säkularen Umfelds, das Verhältnis von Religion und Politik sowie Verschwörungstheorien.



KNA: Herr Professor Körner, Sie haben in religiösen Hochburgen wie Jerusalem und Rom unterrichtet. Funktioniert der christlich-islamische Dialog im säkularen Berlin anders?



Körner: In Berlin leben etwa gleich viele Katholiken wie Muslime. Das heißt, dass in dieser Hinsicht eine gewisse Verwandtschaft herrscht - weil man zu einer Minderheit gehört und somit auch die Freude an der Besonderheit leben kann. Vielfalt ist hier selbstverständlich. Zugleich ist den Religionsgemeinschaften hier sehr klar: Sie können das Zusammenleben mitprägen, sie haben politisches Gewicht. Da hat die Theologie die spannende Aufgabe, sich öffentlich Gehör zu verschaffen, aus religiöser Überzeugung.



KNA: Welche Herausforderungen stellen sich dabei?



Körner: Die Humboldt-Universität ist den beiden neuen Theologien gegenüber, also der katholischen und der islamischen, sehr positiv eingestellt. So habe ich es bisher erlebt. Auch der Berliner Erzbischof Heiner Koch und Rom wollten von Anfang an, dass es unser Institut gibt, und fördern es jetzt engagiert, damit wir in einer herausfordernden, pluralen Welt Theologie treiben können. Die evangelische Theologie ist in unserer Universitätsgeschichte fest verwurzelt und eine starke Gesprächspartnerin. Wir bilden künftige Religionslehrkräfte aus, und als solche müssen sie in Berlin mit dem Islam vertraut sein. Diese Vertrautheit fehlte bislang.



KNA: Wie lässt sich der christlich-islamische Dialog in den universitären Alltag einbinden?



Körner: Für meine erste Vorlesung habe ich einen Kollegen aus der islamischen Theologie mit ins Boot geholt: Ufuk Topkara. Durch gegenseitiges Fragen, durch die Klärung von Missverständnissen und die Weiterentwicklung unserer Lehre betreiben wir nicht nur vergleichende, sondern interaktive Theologie.



KNA: Wie sehr bilden solche Diskurse auf Universitäts-Niveau den Alltag ab, mit dem Menschen verschiedener Glaubensrichtungen konfrontiert sind?



Körner: Viele Fragen, die wir hier besprechen, hat mir auch der Strumpfhändler an der Ecke in Ankara schon gestellt. Es gibt Dinge, die Muslime nicht am Christentum verstehen - das sind aber auch Punkte, die Christen oft selbst nicht verstehen. Was heißt es denn, wenn wir sagen, dass Jesus der Sohn Gottes und Gott dreifaltig ist? Maria, die Mutter Gottes? Gott wird Mensch? Ist einer und drei?



KNA: Welche Chancen bieten sich einer Theologie, die sich immer wieder dem Dialog öffnet?



Körner: Wer in Berlin theologisch wirken will, muss nicht nur die eigene Religion durchdenken, sondern auch lebendige Gespräche mit Menschen schätzen, die wenig oder gar keine Berührungspunkte mit dem Glauben haben. Diejenigen unserer Studierenden, die später Religion unterrichten, werden so zu Multiplikatoren der Dialogkompetenz. Sie begegnen den Jugendlichen mit ihren Identitätsfragen. Für die nächsten Semester planen wir aber auch Veranstaltungen, die in andere Lebenswelten führen. Wir wollen zeigen, in welche Arbeitsbereiche man mit Theologie auch gehen kann. Es braucht theologische Kompetenz in Politik, Diplomatie, Journalismus und in vielen anderen Praxisfeldern: Kürzlich habe ich zum Beispiel Führungskräfte einer Polizeibehörde in Islamfragen fortbilden dürfen.



KNA: Das klingt danach, als ob Sie Menschen religiös sprachfähig machen wollen?



Körner: So ist es. Dabei sind wir aber, und das lehrt der Dialog der Religionen, nicht nur der Sender. Wir wollen nicht nur sprachfähig machen, sondern auch hörfähig und verarbeitungsfähig. Was bedeuten die Herausforderungen des Anderen für ein Neuverständnis meiner eigenen Situation, Tradition und Aufgabe? So kann man wiederentdecken: Den Religionen wohnt weltgestaltendes Potenzial inne. Religion ist etwas Politisches.



KNA: Damit sprechen Sie ein nicht immer einfaches Feld an - das Verhältnis von Religion und Politik ...



Körner: Die Religion muss akzeptieren, dass das staatliche Handeln das Gewaltmonopol hat. Insofern darf Religion nicht politisch sein. Sie darf nicht in der Weise der Durchsetzung handeln, sie handelt in der Weise des Zeugnisgebens. Aber so hat sie auch eine politische, weltgestaltende Macht, sie inspiriert und relativiert das Handeln der Politikerinnen und Politiker. Will der Staat diese andere Macht unterdrücken, wird er zum Unrechtsstaat. Gerade in der Pandemie kann die Kirche der Öffentlichkeit sagen: Wir sind alle erschüttert, verunsichert, aber können doch spüren, wie wir getragen sind, und so mitsorgen, gerade für die, die sonst vergessen würden: die Vereinsamten, die Verzagten, die Verzweifelten.



KNA: Was meinen Sie in diesem Zusammenhang mit Relativierung?



Körner: Der Staat ist nicht allmächtig und darf nicht zu einem totalitären System werden. Er hat keine Macht über die Herzen der Menschen, über das Gewissen. Er kann auch nicht das wahre Glück herstellen. Insofern muss Religion relativieren. Sie hat zudem die Aufgabe zu kritisieren - dass es zum Beispiel nicht geht, wenn Schutzsuchende an den Grenzen Europas mit Gewalt zurückgedrängt werden. Sie soll orientieren, indem sie zeigt, was das wirklich ist: wahres Menschsein, Erfüllung.



KNA: Zugleich sieht man auch innerhalb des Christentums populistische Tendenzen und zu Verschwörungstheorien neigende Menschen ...



Körner: Das stimmt. Aber kann man nicht sogar aus dem Religionsbegriff zeigen, dass das etwas Unreligiöses ist? Für mich bedeutet Religion die Anerkennung des Anderen im Vollsinn. So wird man bereit, auch das zu hören, was nicht aus unserer eigenen Tradition stammt. Die Behauptung, wir könnten alle Fragen aus der Eigentradition beantworten, solche integralistischen Tendenzen hat es auch im Christentum gegeben. Sie stammen aus Zeiten der Verunsicherung. Identität soll dann, denke ich, durch die Religion gesichert werden. Doch Religion kann zwar Licht auf alles werfen, sie kann aber nicht auf alles Antworten geben.



KNA: Ihr Lehrstuhl ist nach dem Universalgelehrten Nikolaus Cusanus benannt. Was nehmen Sie von ihm mit?



Körner: Cusanus hat mit großem Interesse die Muslime und ihre Glaubenstradition wahrgenommen und sogar ein Buch über den Koran geschrieben. Die Offenheit, Klugheit und Bereitschaft, auch den eigenen Glauben aufgrund der neu erworbenen Kenntnis immer wieder auszuloten, die finde ich hochspannend. (KNA)