Kategorischer Imperativ

Saudi-Arabiens politische Maxime ist die Stabilität der Petrodollar-Monarchie. Alles andere ist für die Machteliten in Riad zweitrangig. Doch solange der Wahhabismus als Staatsideologie uneingeschränkt gilt, kann es keine echte Einheit der saudi-arabischen Nation geben – und auch keine echte Stabilität. Von Loay Mudhoon

Von Loay Mudhoon

Ein Vorfall auf dem Gipfeltreffen der Bewegung der blockfreien Staaten in Teheran im September dürfte die schlimmsten Befürchtungen der Saudis bestätigt haben. Das iranische Staatsfernsehen manipulierte die Übersetzung der Rede des ägyptischen Präsidenten Mohamed Mursi, der die syrische Regierung als "Unterdrückungsregime" anprangerte. Ganze Satzteile gab der Sender falsch wieder und ersetzte "Syrien" durch "Bahrain".

Zwischen Iran und Saudi-Arabien tobt ein Hegemonialkonflikt. Die saudische Führung um König Abdullah fürchtet nichts mehr als eine iranische – schlimmstenfalls mit Atomwaffen untermauerte – Vormachtstellung in der Golfregion, denn aus ihrer Sicht bedroht der Iran die absolute Monarchie. Das liegt daran, dass Saudi-Arabien auf den Schutz externer Mächte angewiesen ist.

Seit sieben Jahrzehnten verbindet Riad eine strategische Partnerschaft mit den USA. Saudi-Arabien verfügt über ein Drittel der globalen Erdölvorräte und gewährleistet die Versorgung der USA und anderer Länder. Washington garantiert im Gegenzug militärische Sicherheit. Aber aus Sicht der Saudis haben die USA im Irak versagt – nicht zuletzt, weil dort der Einfluss der schiitischen Be¬völkerung und ihrer Geistlichen, die vielfach im Iran studiert haben, erheblich gewachsen ist. Auch der Sturz des US-Verbündeten Hosni Mubarak in Ägypten hat das Herrscherhaus beun¬ruhigt. Saudi-Arabien tut nun, was es kann, um mit sunnitischen Verbündeten den Einfluss des schiitischen Gottesstaats Iran einzudämmen.

Wenn es einen kategorischen Imperativ der saudischen Außen- und Sicherheitspolitik gibt, dann lautet er: Alles, was die Stabilität der Monarchie sichert, hat Vorrang – im Äußern und Innern. Die Angst, das eigene Regime könne schnell stürzen, ist riesig.

Furcht vor der Revolution

Tatsächlich ist die Legitimität des saudischen Systems alles andere als selbstverständlich. Seine Grundlage ist seit Mitte des 18. Jahrhunderts ein Bündnis der Herrscherfamilie mit wahhabitischen Gelehrten, die den sunnitischen Islam in einer puritanisch-fundamentalistischen Version predigen. Bürgerrechte im westlichen Sinne gibt es nicht, und die schiitische Minderheit im eigenen Land wird systematisch diskriminiert. Sie gilt als "fünfte Kolonne Teherans".

Baschar al-Assad und Mahmud Ahmadinejad; Foto: AP/dapd
In ihrer Angst vor der iranisch-schiitischen Vormachtstellung in der Region hofft das saudische Regime auf den Sturz Assads: Denn das würde nach Ansicht Saudi Arabiens die sunnitischen Kräfte in Syrien stärken.

​​Das Grunddilemma ist: Die Führung in Riad müsste den Einfluss der Wahhabiten zurückdrängen, um Reformen in Staat und Gesellschaft durchzusetzen. Sie kann das aber nicht, weil die Fundamentalisten Teil ihrer eigenen Machtbasis sind. Ihnen zum Gefallen fördert Saudi-Arabien radikale Missionare in vielen Ländern. Die brutalste Variante des Wahhabismus wird derweil von Al-Qaida propagiert, dem Terrornetzwerk, das auch Saudi-Arabien schon angegriffen hat.

Den Arabischen Frühling sieht die saudische Führung als neue Herausforderung. Sie fürchtet, dass die revolutionäre Dynamik auf die einheimische, junge und zunehmend unzufriedene Bevölkerung übergreift. Deshalb unterstützt sie nun erst recht überall in der arabischen Welt fundamentalistisch-sunnitische Kräfte.

Das Regime reagiert damit auf die Schwäche des Westens, die sich im Arabischen Frühling offenbart hat. Die Saudis betreiben eine aktive Interventionspolitik, um den Einfluss des Iran einzudämmen – aber auch jede Art von Liberalisierung zu verhindern, welche die saudische Bevölkerung attraktiv finden könnte. So entsandten sie zusammen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten im März 2011 Sicherheitskräfte nach Bahrain, um dort Proteste gegen das sunnitische Herrscherhaus niederzuschlagen. Saudische Unterstützung für Salafisten in Ägypten setzt indessen die Muslimbrüder, die einen pragmatischen Islamismus vertreten, unter konservativen Druck.

Gerontokratie im saudischen Herrscherhaus

In Syrien wittert Riad derweil eine historische Chance: Der Sturz des Assad-Regimes, eines Hauptverbündeten Irans, würde Teheran schwächen. In Riad rechnet man fest damit, dass Syrien nach Assad von sunnitischen Kräften dominiert sein wird, die dem sunnitischen Herzland mit den Heiligtümern von Mekka näherstehen als dem Iran.

Daheim versucht die Regierung derweil, Ruhe und Loyalität mit aufwendigen Infrastruktur- und Sozialausgaben zu erkaufen. Doch solange der Wahhabismus als Staatsideologie uneingeschränkt gilt, kann es keine echte Einheit der saudi-arabischen Nation geben – und auch keine echte Stabilität. Bis auf weiteres wird diese Gerontokratie für Instabilität in ihrer Region sorgen.

Loay Mudhoon

© Zeitschrift für Entwicklung und Zusammenarbeit 2012

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de