Alle Optionen vom Tisch?

Die Verhandlungen über das Atomprogramm des Iran stecken einmal mehr in der Sackgasse, doch Irans Revolutionsführer Ajatollah Ali Chamenei scheint das nicht zu sorgen. Tatsächlich ist er überzeugt davon, dass weder die USA noch Israel Irans Atomanlagen angreifen werden – zumindest nicht vor den US-Präsidentschaftswahlen. Von Mehdi Khalaji

Von Mehdi Khalaji

Ironischerweise verlässt sich das geistliche Oberhaupt der Islamischen Republik, Ajatollah Ali Chamenei, der kein Fan der Demokratie ist, auf die Tatsache, dass seine Hauptfeinde durch demokratische Zwänge gebunden sind. Chamenei kontrolliert Irans Atomprogramm und seine Außenpolitik, doch die USA und Israel müssen darauf hinarbeiten, einen Konsens nicht allein innerhalb ihrer jeweiligen politischen Systeme, sondern auch untereinander herzustellen.

Irans Führung, die den politischen Debatten in Israel genau folgt, ist überzeugt, dass Israel ohne die uneingeschränkte Kooperation der USA keinen Angriff auf die iranischen Atomanlagen einleiten wird, weil unilaterales Handeln Israels Beziehungen zu seinem wichtigsten strategischen Bündnispartner gefährden würde.

Schwindendes Bedrohungspotential

Angesichts der Tatsache, dass eine israelische Offensive mit den USA koordiniert werden müsste, während ein amerikanischer Angriff keiner israelischen Militärunterstützung bedürfte, würde der Iran beide als amerikanische Angriffe betrachten.

Beiden Szenarien steht die iranische Führung jedoch weiter skeptisch gegenüber, trotz der offiziellen Position Amerikas, dass "alle Optionen auf dem Tisch liegen", um den Iran an der Entwicklung der Atomwaffenfähigkeit zu hindern.

Irans Präsident Ahmadinedschad besucht iranische Atomanlage in Natans; Foto: dpa
Unbeirrt von Wirtschaftssanktionen und militärischen Drohungen: "Wir sind kein Volk, das bei der Nuklearfrage einen Rückzieher macht", erklärte jüngst Irans Präsident Ahmadinedschad.

​​Bisher spürt sie den Druck einfach noch nicht stark genug, um einen Kompromiss in Betracht zu ziehen. Tatsächlich verhöhnt die iranische Führung Israel weiterhin aus der Ferne und nennt das Land eine "Beleidigung der Menschheit" oder einen "Tumor" in der Region, der beseitigt werden müsse.

Sorge der iranischen Bevölkerung

Die iranischen Bürger – einschließlich der Geistlichkeit in der heiligen Stadt Ghom in Nähe der Atomanlage Fordow – sind derweil tief besorgt über die Folgen eines möglichen Angriffs. Ajatollah Yousef Sanei, ehemaliger Justizminister und religiöse Autorität ("marja"), hat die Regierung aufgefordert, von Provokationen gegenüber Israel abzusehen.

Tatsächlich sind Kritiker der Regierung der Ansicht, dass deren Hetzreden zu einem verheerenden Krieg führen könnten. Doch aus dem Blickwinkel der iranischen Führung hat der Spott in dem Maße einen taktischen Wert, wie er innerhalb der israelischen Öffentlichkeit die Ansicht verstärkt, dass der Iran ein gefährlicher Feind sei, der bereit sei, heftig zurückzuschlagen.

Tatsächlich spiegelt die anti-israelische Rhetorik das Vertrauen der iranischen Führer wider, dass Israel nicht angreifen wird – eine Sicht, die durch die Lage in Syrien gestützt wird. Sie sind davon überzeugt, dass der Iran selbst im Falle eines Sturzes des Regimes von Präsident Baschar al-Assad in der Lage sein wird, das Land auf eine Weise zu destabilisieren, die eine erhebliche Sicherheitsbedrohung für Israel darstellen würde. Gemäß dieser Sichtweise ist es Israel, das Interesse daran hat, sich den Iran nicht weiter zum Feind zu machen, und nicht umgekehrt.

Jüngste Leitartikel in Kayhan – einer iranischen Zeitung, die als Sprachrohr des Obersten Führers dient – deuten an, dass Chamenei den US-Präsidentschaftswahlen freudig entgegensieht. Unabhängig vom Ergebnis sieht er zumindest in diesem und im nächsten Jahr keine Gefahr für militärische Angriffe.

Ein Sieg Obamas würde Amerikas Widerwillen gegenüber einem Angriff auf den Iran verstärken und die Bemühungen verstärken, Israel an die Leine zu nehmen. Und falls sein republikanischer Herausforderer Mitt Romney gewählt wird, könnte es Monate dauern, bis er sein nationales Sicherheitsteam gebildet und sein Kabinett zusammengestellt hat. Er wäre daher nicht in der Lage, den Iran umgehend anzugreifen.

Präsidentschaftsrivalen Mitt Romney und Barack Obama; Foto: Michael Reynolds
Außenpolitischer Kurswechsel im Falle eines Wahlsiegs der Republikaner? - "Tatsächlich ist die iranische Führung der Ansicht, dass sie nach den Wahlen – insbesondere im Falle eines Sieges von Mitt Romney – ein Angebot aus den USA erhalten könnten, das ihr Recht auf Anreicherung von Uran anerkennt", schreibt Khalaji.

​​Allerdings hat die iranische Führung seit Entstehung der Islamischen Republik im Jahre 1979 ganz generell republikanische Präsidenten Demokraten vorgezogen: Trotz ihrer harten Rhetorik waren die Republikaner in der Praxis eher zu einem Dialog mit dem Iran bereit.

Tatsächlich ist die iranische Führung angesichts der Tatsache, dass der Iran bisher ernste internationale Sanktionen überlebt hat, der Ansicht, dass sie nach den Wahlen – insbesondere im Falle eines Sieges von Mitt Romney – ein Angebot aus den USA erhalten könnten, das ihr Recht auf Anreicherung von Uran anerkennt.

Vertrauen in die eigene Widerstandskraft

Nun scheint es alles andere als sicher, dass der Iran dem von den aktuellen Sanktionen ausgehenden Druck auf Dauer standhalten kann. Doch die Zuversicht seiner Führung, dass er das kann, bleibt ein entscheidendes Element ihrer Strategie, und der Westen kann es sich nicht leisten, davor die Augen zu verschließen.

Egal, ob es von Obama oder Romney geführt wird: Amerika muss begreifen, dass der Iran keine ernsthaften Verhandlungen in Bezug auf sein Atomprogramm führen wird, bis er einen eindeutigen, überzeugenden und geeinten Konsens in den USA und Israel über eine Strategie erkennt, die sowohl die Ambitionen des Iran als auch die Sorgen Israels anspricht.

Einen derartigen Konsens im Kontext der amerikanischen Präsidentschaftswahl herzustellen, wird keine leichte Aufgabe. Und auch in Israel ist es nicht leicht, einen Konsens herbeizuführen, insbesondere, da die politischen Parteien des Landes sich auf die Wahlen im nächsten Jahr vorbereiten.

Doch nur im Falle eines deutlich stärkeren Zusammenhalts innerhalb der USA und Israels wird die iranische Führung einen Kompromiss über ihr Atomprogramm auch nur in Betracht ziehen.

Mehdi Khalaji

© Project Syndicate 2012

Aus dem Englischen von Jan Doolan

Mehdi Khalaji ist Senior Fellow am Washington Institute for Near East Policy.

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de